Schöner Schein…

Das englische Sprichwort „don’t judge a book by its cover“ (“Bewerte ein Buch nicht nach seinem Einband”) mahnt auf metaphorische Wiese davor, den Wert oder das Innere einer Sache oder Person anhand seines Aussehens zu beurteilen. Dennoch lassen wir uns täglich von der Schönheit verführen und blenden …

Die „what is beautiful – is good“-Theorie beschreibt dieses Phänomen: attraktiven Menschen werden Eigenschaften und Fähigkeiten zugeschrieben, die mit dem Äußeren nichts zu tun haben. Wir schließen permanent von der äußeren, auf die innere Schönheit.

So wie wir Menschen anhand anderer Eigenschaften und Merkmale schnell einen Stempel aufdrücken, der mit diesem Merkmal nichts zu tun haben muss (z.B. „Dicke sind gemütliche Gesellen“, „Brillenträger sind klug“, „Männer im Anzug sind erfolgreich“), fungiert auch hier der sogenannte „Attraktivitätsstereotyp“ (Henss, 1992)  als Wahrnehmungsfilter, um die überaus komplexe Welt um uns herum für sich  selbst zu ordnen. Dadurch wird ein Kontrollgefühl evoziert und sogar Handlungsfähigkeit geschaffen. Denn wenn man sein Gegenüber erst einmal „etikettiert“ hat, also einschätzen kann, mit  wem man es wohl zu tun hat, dann man kann angemessener reagieren. Alles und jeden aber derart differenziert und in seiner Vielschichtigkeit erfassen zu wollen, würde allerdings unser Wahrnehmungssystem lahm legen. Die Folge: wir würden zu gar nichts mehr kommen. Deshalb ist die Stereotypisierung für den Menschen durchaus funktional, wenn auch nicht immer korrekt und vor allem auch nicht immer fair (Segal-Caspi, Roccas, & Sagiv, 2012).

Schon 1972 konnten die Psychologen Dion, Walster und Berscheid (1972) zeigen, dass attraktive Kinder in der Schule weniger oft bestraft werden, attraktive Studenten bessere Noten bekommen, ja selbst die Berufschancen stehen für attraktive Menschen besser. In Ihrer Übersichtsarbeit zeigte Judith Langlois und ihr Forscherteam (2000), dass sowohl attraktive Kinder als auch Erwachsene generell für sozial kompetenter gehalten werden, egal ob in der Schule oder im Berufsleben.

Verblüffender weise schafft diese heuristische Zuschreibung oftmals eine eigene Realität – wirkt somit als selbsterfüllende Prophezeiung: Schönen Menschen werden sozial erwünschte Charakterzüge (Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit, Geselligkeit) zugeschrieben, weshalb man diesen Menschen entsprechend offen, freundlich und wohlwollend gegenübertritt. Wie es in den Wald reinschallt, so schallt es heraus. Als Folge davon reagieren die „Schönen“ tatsächlich so, wie es dem „Attraktivitätsstereotyp“ nach erwartet wird.

Dies konnte Snyder, Berscheid und Tanke (1977) in ihrem klassischen psychologischen Experiment aufgezeigen: Sie ließen 51 männliche und 51 weibliche Studenten/Innen ein zehnminütiges Telefonat führen. Das Gesprächspaar war sich jeweils unbekannt. Die männlichen Probanden erhielten einen kurzen Fragebogen der Telefonpartnerin, sowie ein Foto, welches angeblich die Dame am anderen Ende der Leitung zeigen sollte. Tatsächlich waren es anderen Frauen,  die zuvor nach Attraktivität beurteilt worden waren. Die Hälfte der männlichen Studienteilnehmer bekam Fotos von sehr attraktiven, die andere Hälfte von sehr unattraktiven Frauen.

Vor dem Telefonat gaben die Männer ihre Erwartung bzgl. Intelligenz, physische Attraktivität und Freundlichkeit der Telefonpartnerin an. Ganz der „what is beautiful – is good“-Theorie folgend, erwarteten die Männer, denen ein attraktives Foto zugespielt wurde, eine kontaktfreudige, humorvolle und aufgeschlossene Frau am Hörer. Dementsprechend negativ war die Erwartung bei den Männern mit den unattraktiven Fotos.

Auch die Gesprächsfrequenz wurde von den Psychologen ausgewertet. Das Ergebnis bestätigte die Annahme der „selbsterfüllenden Prophezeiung“: Frauen, die vom männlichen Telefonpartner für attraktiv gehalten wurden, wirkten selbstbewusster, schienen das Gespräch mehr zu genießen und den Gesprächspartner zu mögen. Genau das gegenteilige Bild zeigte sich bei den Frauen, die für unattraktiv gehalten wurden. Darüber hinaus wirkten auch die Männer, die annahmen, mit der attraktiven Frau zu telefonieren, auf die bewertenden Psychologen attraktiver und selbstbewusster.

Segal-Caspi, Roccas, & Sagiv (2012) von der israelischen Open Universität gingen in einem weiterem Experiment zu diesem Phänomen der Frage nach,  ob die „Schönen“ tatsächlich jene Eigenschaften und Werte zeigten, die ihnen zugschrieben wurden.

118 weibliche Probanden wurden dabei gefilmt, wie sie den Wetterbericht vorlasen und danach den Raum verließen. Dieses Video wurde von Männern und Frauen hinsichtlich Attraktivität (Gesicht, Körper, Kleidung), innerer Werte und Eigenschaften bewertet. Auch in dieser Studie wurden die körperlich attraktiven Frauen als liebenswürdiger, offenherziger, extravertierter, gewissenhafter und emotional stabiler bewertet.

Interessanterweise gab es gar keinen Zusammenhang dieser attraktivitätsbasierten Einschätzung mit den Selbstangaben der Frauen über ihre Eigenschaften und Wertvorstellungen. Der schöne Schein trügt eben manchmal…

Quellen:

Dion, K., Berscheid, E. & Walster, E. (1972). What is beautiful is good. Journal of Personality and Social Psychology, 24, 285-90.

Henss, R. (1992). „Spieglein, Spieglein an der Wand . . .“ Geschlecht, Alter und physische Attraktivita [„Mirror, mirror on the wall …“ Sex, age, and physical attractiveness]. Weinheim, Germany: Psychologie Verlags Union.

Snyder, M., Tanke, E. & Bersheid, E. (1977). Social perception and interpersonal behavior: On the self-fulfilling nature of social stereotypes. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 656-666.

Judith Langlois et. al (2000). Maxims or Myths of Beauty? A Meta-Analytic and Theoretical Review. Psychological Bulletin, 126, 390-423.

Segal-Caspi, L, Roccas, S. & Sagiv, L. (2012). Don’t Judge a Book by Its Cover, Revisited: Perceived and Reported Traits and Values of Attractive Women. Psychological Science, 23, 1112-1116.

 

 

 

Bei uns zuhause gibt es „cooles Gemüse“ …

Wir alle wollen, dass unsere Kinder sich gesund ernähren. Gerade für die zukünftigen Generationen ist es wichtig, Erkenntnisse aus der Ernährungsforschung so früh wie möglich in die Tat umzusetzen, also via Erziehung zu vermitteln. Das ist unser evolutionärer Auftrag. Insbesondere um die ungesunde Ernährung zu kompensieren, aber auch um die Kinder für die zukünftigen Stressbelastungen mit Resilienz auszzustatten.
Doch einhellig berichten die Eltern von frustrierenden Bemühungen den Kindern Gemüse schmackhaft zu machen: „Dieses Essen mag ich nicht, ich will Pommes und kein so langweiliges Gemüse!“ war die Antwort.

Jetzt kamen findige amerikanische Forscher auf eine geniale Idee: Wenn die zu ungesunden Nahrungsmitteln verführenden Konzerne mit ihren Marketing-Strategien so großen Erfolg bei Kinden haben, könnte man doch auch zuhause oder in der Schule sprachliches Marketing betreiben. Sie gaben den einzenen Gemüsearten auf dem Teller neue, kindgerecht attraktive Namen und machten erfreuliche Erfahrungen.

Die Forschergruppe um Brian Wansik, Universiät Ithaca (NY) bereicherten die Mittagsmalzeit von 150 acht- bis elfjährigen Kindern auch mit Karotten im Angebot., genannt das Gericht des Tages. Sobald sie diesen Namen änderten in „Röntgenblick-Karotten“ („X-Ray-Carrots“) – wegen des potentiell verbesserten Augenlichts durch das Vitamin A – wählten doppelt soviele der Kids dieses Gericht. Der coole Name hatte sie zum gesunden Essen verführen können.

Deutlich bestärkt in ihrer Vermutung durch die erfreulichen Ergebnissek konnten die ForscherIn einer weiteren Studie gleich zwei ganze Schulen mit insgesamt 1500 Schülern für das Expereiment gewinnen.
Im ersten Monat gab es gezielt jeden Tag auch Karrotten, Broccoli und grüne Bohnen ohne weitere Kennzeichnung. Im nächsten Monat startete das Veggie-Marketing. Das selbe angebotene Gemüse hieß nun
z.B. wie schon in der Pre-Studie „Röntgenblick-Karrotten“ ( X-Ray Vision Carrots“),
„Superfaust-Broccoli“ („Power Brunch Broccoli“),
„kleine, leckere Baumkrönchen“ (Tiny Tasty Tree Tops“) oder
„“verrückte grüne Bohnen“ (Silly Dilly Grean Beans“).
Wieder erfreute ein gigantisches Ergebnis: Die Forscher zählten nahezu hundert Prozent Steigerung bei der gelabelten Gemüse-Variante im zweiten Monat im Vergleich zu vorher.

Übrigens hatte Wansik bereits 2005 eine ähnliche Studie mit Erwachsenen durchgeführt. So hieß das Fischgericht auf einmal „zartes Fischfilet“ oder die Zuccini-Taler hießen jetzt „Großmutters Zuccini-Taler“. Folge: Die Gäste sprachen plötzlich von einem größeren Geschmacks-Erlebnis.

Fazit: Nicht nur das Auge ißt mit, sondern auch das Ohr.

Quelle: Wansik, Brian, Just, DavidR., Payne, Collin, R., Klinger, Matthew: Attractive Names Sustain Increased Vegetable Intake in Schools. Preventive Medicine, in press (2012)