Die Lücke zwischen Intention und Handlung schließen: So klappt’s mit den guten Vorsätzen

Neujahrstag – der Beginn eines neuen Jahres und für viele auch ein Tag mit besonderer Bedeutung. Denn viele beginnen das Jahr mit guten Vorsätzen. Doch egal ob man sich vornimmt, mehr Sport zu treiben, mit dem Rauchen aufzuhören, regelmäßiger und mehr zu schlafen, mehr mit der Familie zu unternehmen und weniger zu arbeiten – die meisten dieser guten Vorsätze finden ihr jähes Ende spätestens dann, wenn nach den Feiertagen der Alltag wieder beginnt.

Eine englische Studie mit 3.000 Teilnehmern ergab, dass 88 Prozent der Menschen ihre guten Vorsätze nicht einhalten. Dabei sind viele dieser Vorsätze durchaus sinnvoll. Was aber passiert auf dem langen Weg von der Intention zur Handlung, das so viele Menschen daran scheitern lässt, ihre Vorsätze auch in die Tat umzusetzen? Dr. Ralf Schwarzer, Psychologe und Professor für Gesundheitspsychologie an der Freien Universität Berlin, hat ein Modell entwickelt, anhand dessen dieser lange Weg und die vielen Hindernisse, die dem Handeln entgegenstehen, aufgezeigt werden können. Das Modell schildert nicht nur Hindernisse, sondern zeigt auch Möglichkeiten auf, diese zu überwinden.

 

Intentionsbildung – Klarheit schaffen

Das von Dr. Schwarzer entwickelte HAPA-Modell (Health Action Process Approach) teilt den langen Weg zwischen Intentionsbildung und tatsächlicher Handlung in drei Phasen. In der ersten Phase, der Intentionsbildung, ist vor allem Klarheit wichtig. So reicht es nicht, sich einen diffusen Vosatz vor Augen zu halten, wie z.B.: „Ich will mehr Sport machen.“ Vielmehr fordert das Modell gleich hier zu differenzieren: „Was bedeutet „mehr“?“  „Welche Art von Sport?“ „Warum halte ich das überhaupt für nötig?“ Diese Fragen können dabei helfen, Klarheit zu schaffen. Genaue Handlungs-Ergebnis-Erwartungen zu formulieren, wie: „Ich will bewirken, dass ich mich nach dem Treppen steigen nicht mehr völlig kaputt fühle,“ sind ebenso wichtig, wie eine konkrete Risikowahrnehmung. Hierfür hilft ein Gespräch mit dem Hausarzt, der die Gefahren von zu seltener Bewegung für Herz und Kreislauf eindrücklich schildern wird.

 

Planen und Selbstwirksamkeit schaffen

Mit der Intentionsbildung ist ein wichtiger Schritt getan. Doch der Weg bis zur Handlung ist noch weit. Die nächste Phase im HAPA-Modell ist die Planungsphase. Hierin sollte nicht nur die Ausführung genau geplant sein, sondern auch gleich überlegt werden, welche Hindernisse der Ausführung im Wege stehen könnten und wie diese überwunden werden können. Bei der Ausführungsplanung ist es wichtig, sich verbindliche und konkrete Ziele zu setzen, und dennoch einen realistischen Spielraum zu lassen. Beim Beispiel Sport könnte ein solcher Plan z.B. folgendermaßen lauten: „Ich werde ein Mal am Wochenende und ein Mal am Dienstag oder Mittwoch in der Mittagspause joggen (jeweils mindestens 30 Minuten) und mindestens ein Mal pro Woche Radfahren nach der Arbeit.“

Bei der Bewältigungsplanung sollen konkrete Gegenstrategien für eventuelle Hindernisse entwickelt werden: Was tun bei schlechtem Wetter, bei Muskelkater? Was könnte meinen Vorsätzen noch im Weg stehen? Das genaue Durchdenken dieser Hindernisse und ihre – vorläufig zunächst gedankliche Überwindung – helfen, die Selbstwirksamkeit zu stärken, d.h. das Gefühl zu entwickeln, es wirklich schaffen zu können: „Das Wetter könnte zwar besser sein und die optimale Funktionskleidung ist noch nicht zusammengestellt, aber ich starte jetzt und bestärke mich dadurch in der Überzeugung, dass ich es schaffen werde.“

 

Handeln – und immer wieder neu anfangen

Die letzte Phase des HAPA-Modells beschreibt die tatsächliche Handlung. Allerdings bedeutet das einmalige Beginnen nicht, dass man es automatisch schafft, auch dabei zu bleiben. Dr. Schwarzer beschreibt daher diese Phase mit einem stetigen Kreislauf aus Initiative, Aufrechterhaltung und Wiederaufnahme. Die eigene Erfolgskontrolle (z.B. durch Trainingstagebücher oder sportpraktische Testverfahren zur Leistungskontrolle) ist hier sehr hilfreich, um weiterhin motiviert zu bleiben. Doch bei aller Motivation kann es passieren, dass es einmal nicht klappt, den guten Vorsatz in die Tat umzusetzen. Gerade dann ist es wichtig, nicht aufzugeben. Denn Handeln bedeutet oft auch: immer wieder Anfangen und sich durch Rückschläge nicht entmutigen zu lassen.

 

Der Weg von der Intention zur tatsächlichen Handlung ist oft weit, und Hindernisse tauchen plötzlich auf wie extra gerufen. Doch wer genau weiß, was er/sie will, wer genau plant und Strategien entwickelt und vor allem wer sich nicht davor scheut, immer und immer wieder aufs Neue anzufangen, der schafft es dann, seine Vorsätze auch in die Tat umzusetzen.

 

 

Quellen:
Muster, M. & Zielinski, R. (2006). Bewegung und Gesundheit: gesicherte Effekte von körperlicher Aktivität und Ausdauertraining. Berlin: Springer.

Schwarzer, R. (1992). Self-efficacy in the adoption and maintenance of health behaviors: Theoretical approaches and a new model. In R. Schwarzer (Hrsg.). Self-efficacy: Thought control of action (S. 217-243). Bristol, PA: Taylor & Francis.

Schwarzer, R., Luszczynska, A., Ziegelmann, J. P., Scholz, U. & Lippke, S. (2008). Social-cognitive predictors of physical exercise adherence: three longitudinal studies in rehabilitation (Vol. 27, No. 1S, p. S54). American Psychological Association.

Bevor die Seele ausbrennt: Meditation gegen Stress?

Wer ständig unter Stress steht, muss Methoden finden, um zu entspannen. Sonst wird die seelische Belastung zu stark. Wie aber entflieht man dem Alltag am effektivsten?

„Es ist der Geist, der sich den Körper baut,“ ließ schon Friedrich Schiller seinen Wallenstein erkennen. Die Meditation – noch vor einiger Zeit von der Schulmedizin als esoterischer Humbug belächelt – wurde von Neurowissenschaftlern als Mittel gegen Stress entdeckt. Verschiedene Meditationsmethoden konnten bei ProbandInnen nicht nur das empfundene Stresslevel reduzieren, sondern auch erstaunliche Veränderungen im Gehirn auslösen. Mehrere unabhängige Studien konnten nachweisen, wie richtig Schiller schon vor 200 Jahren lag: Der Geist kann den Körper verändern.

 

Messbare Veränderungen

Die Meditation, ursprünglich in vielen Religionen und Kulturen ausgeübte spirituelle Achtsamkeits- oder Konzentrationsübungen, durch die sich der Geist beruhigen und sammeln soll, lag noch vor Kurzem unter dem Ruch des Esoterischen. Vadimir Bostanov und Philipp Keune, Neuropsychologen am Institut Institute für medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen, konnten inzwischen nachweisen, dass sich durch regelmäßiges Meditieren neurophysiologisch messbare Veränderungen im Gehirn abspielen. In ihrer Studie spielten ProbandInnen, die einen achtwöchigen Meditationskurs absolviert hatten, akustische Signale vor, maßen deren elektrische Hirnzellenaktivität und verglichen diese mit Werten einer Kontrollgruppe. Ihr Ergebnis war deutlich: Im Vergleich zur Kontrollgruppe reagierten die Gehirne der in Meditation Geübten deutlich stärker auf akustische Reize.

 

Ohne Ängste, ohne Grübeleien

Diese veränderte Gehirnaktivität korrespondiert sehr gut mit den Erfahrungen der Meditationskurs-Teilnehmer: Sie berichten, dass sie gelernt hatten, nicht mehr ständig zu grübeln, dafür endlich wieder klar denken zu können. Dadurch hatte ihr Gehirn Ressourcen frei, die sie den akustischen Signalen entgegensetzen konnten. In Meditation geübte Menschen können also die Dinge so sein lassen wie sie sind. Weniger ängstlich oder aufgewühlt lassen sie sich bei Weitem nicht mehr so stark durch ihren Alltag unter Druck setzen.

 

Meditation als Gesundheitsfaktor

Nicht nur psychische Probleme können durch Meditation gelindert werden. Ein Forscherteam um den Mediziner Robert Schneider von der Maharishi University of Management in Iowa untersuchte 201 Männer und Frauen, die gefährliche Engstellen an Herzkranzgefäßen aufwiesen. Sie teilten ihre ProbandInnen in zwei Gruppen auf und ließen eine Gruppe Transzendentale Meditation erlernen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen eindrücklich, dass Mediation auch ein Gesundheitsfaktor sein kann. Denn die Gruppe, die meditierte konnte offensichtlich ihren Stress derart reduzieren und ihr Herz stärken, dass sie im Vergleich zur Kontrollgruppe deutlich weniger Infarkte und Schlaganfälle erlitt.

 

Wirksame Entspannung

Welche Art der Meditation am wirksamsten ist, wurde noch nicht erforscht. Die Schulen der Meditation sind weitläufig und bieten viele Möglichkeiten. Der Gießener Psychologe und Autor des Buches „Meditation für Skeptiker“, Ulrich Ott, rät, jede/r solle die Technik wählen, die ihm/ihr am besten gefalle.

Wichtig ist vor allem, eine Methode zu finden, aus dem Alltag zu flüchten und Stress zu reduzieren. Meditation ist eine dieser Methoden – noch dazu eine der gesündesten.

 

Quellen:
Bostanov, V., Keune, P. M., Kotchoubey, B., & Hautzinger, M. (2012). Event-related brain potentials reflect increased concentration ability after mindfulness-based cognitive therapy for depression: a randomized clinical trial. Psychiatry research, 199 (3), 174-180.

Ott, U. (2011). Meditation für Skeptiker: ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst. OW Barth eBook.

Schneider, R. H., Grim, C. E., Rainforth, M. V., Kotchen, T., Nidich, S. I., Gaylord-King, C., … & Alexander, C. N. (2012). Stress reduction in the secondary prevention of cardiovascular disease randomized, controlled trial of transcendental meditation and health education in Blacks. Circulation: Cardiovascular Quality and Outcomes, 5 (6), 750-758.

Spezial zu Partnerschaft und Ehe: Wie bleibt das Glück erhalten?

„Bis, dass der Tod euch scheidet“ – dieser Trauspruch gilt für viele Ehen schon lange nicht mehr. Hält eine Ehe in Deutschland länger als 15 Jahre, wird sie heute meist schon als Langzeitehe bezeichnet. Kann man bereits zu Anfang erspüren, ob eine Partnerschaft belastbar ist? Wie steht es mit dem „Bauchgefühl“? Und welche Faktoren entscheiden darüber, ob die Partner in ihrer Ehe dauerhaft glücklich bleiben? Sozial- und Verhaltenswissenschaftler haben aktuell erstaunliche Forschungsergebnisse rund um das Thema Ehe und Partnerschaft zusammengetragen.

Dauerhaft glückliche Bindungen werden von den meisten Menschen als erstrebenswert angesehen. Der Beziehungsstatus hat z.B. direkte körperliche Auswirkungen: Verheiratete leben länger, werden seltener krank, ernähren sich gesünder und sind im Alter länger selbständig. Dennoch scheitern viele Paarbeziehungen an Hürden, die für viele nicht vorhersehbar schienen.

In unserer neuen Reihe von Blog-Einträgen werden Studienergebnisse dargestellt, aus denen hervorgeht, dass diese Hürden durchaus voraussehbar sind und – darüber hinaus – dass es möglich ist, in einer Partnerschaft dauerhaft glücklich zu sein.

 

Der richtige „Riecher“

Bereits in den ersten Augenblicken der Kontaktanbahnung ist unser Unterbewusstsein auf Hochtouren. Beide testen unbewusst ob eine Bindung miteinander wohl haltbar sein könnte: Dafür beiden müssen einander riechen können. Das mag zunächst banal klingen, dennoch haben biopsychologische Studien ergeben, dass der Geruchssinn soziales Verhalten massiv beeinflusst. Er hilft, unbewusst Emotionen in anderen Menschen zu entdecken; Menschen z.B., die ohne Geruchssinn geboren wurden, leiden nachweislich unter erhöhter sozialer Unsicherheit. Aus evolutionärer Sicht ist dieses Auswahlkriterium durchaus sinnvoll, denn ein Geruch, der als attraktiv empfunden wird, deutet darauf hin, dass sich das Immunsystem des Gegenübers vom eigenen unterscheidet, potentielle Nachkommen damit überlebensfähiger sein werden. Wer sich also gerne riechen mag, der bleibt auch länger zusammen.

 

Aufs Bauchgefühl achten

Bereits kurz nach der Hochzeit spüren die meisten Partner, wie es wirklich um ihre Ehe bestellt ist. Auch wenn sie vom Wunschdenken beseelt sind, eine glückliche und harmonische Ehe zu führen – sich auf das „Bauchgefühl“ zu verlassen, ist sinnvoller, als sich Dinge schönzureden. Konflikte, Missverständnisse oder enttäuschte Erwartungen gehören schon im Keim aufs Tapet: Man muss sie klären, und zwar durch beidseitig wohlwollende 4-Augen-Gespräche. Wobei viele das Feedback-Annehmen zum ersten Mal in ihrem Leben lernen müssen. Sie waren ja vorher noch nie verheiratet und haben das auch nirgendwo gelernt.

Der Psychologe James McNulty führte eine Langzeitstudie an 135 frisch verheirateten Paaren durch. Die StudienteilnehmerInnen wurden vier Jahre lang alle sechs Monate dazu befragt, wie zufrieden sie mit ihrer Ehe waren. Zusätzlich wurde jedes Mal ein sog. Implicit Associations Test durchgeführt, mit dem die unbewusste Einstellung der ProbandInnen zu ihrem/r PartnerIn und ihrer Ehe ermittelt wurde. McNulty’s erstaunliches Ergebnis: Die Paare, die gleich zu Beginn ihrer Ehe negative unbewusste Einstellungen zeigten, hatten im Laufe des Studienzeitraums Eheprobleme und standen vor der Trennung – auch wenn sie sich in der offenen Befragung anfangs geradezu euphorisch zeigten. Das Bauchgefühl lässt sich also nicht überlisten.

 

Das verflixte vierte Jahr

Der Untersuchungszeitraum von vier Jahren wurde von den Forschern nicht zufällig gewählt. Der sog. Coolidge-Effekt wurde bereits in den 1960-er Jahren entdeckt: Das Level der körpereigenen Glücks- und Bindungshormone Dopamin und Oxytocin – zu Beginn der Partnerschaft auf seinem höchsten Niveau – sinkt im Verlauf der Beziehung stetig und erreicht nach vier Jahren seinen tiefsten Stand. Die sexuelle Anziehungskraft wird damit immer geringer. Etliche Partnerschaften, in denen es die Partner in dieser Zeit nicht geschafft haben, ihre Beziehung auf ein festes Fundament zu stellen, scheitern an dieser Hürde.

 

Woraus aber besteht ein solches Fundament? Sind Menschen in der Lage, ihrer ganz natürlichen biologischen Entwicklung etwas entgegen zu setzen? Im nächsten Blog-Eintrag wird dieser Frage auf den Grund gegangen.

 

Quellen:

Croy, I., Bojanowski, V. & Hummel, T. (2013). Men without a sense of smell exhibit a strongly reduced number of sexual relationships, women exhibit reduced partnership security–a reanalysis of previously published data. Biological psychology, 92(2), 292-294.

McNulty, J. K., Olson, M. A., Meltzer, A. L., & Shaffer, M. J. (2013). Though they may be unaware, newlyweds implicitly know whether their marriage will be satisfying. Science, 342(6162), 1119-1120.

Wilson, J. R., Kuehn, R. E., & Beach, F. A. (1963). Modification in the sexual behavior of male rats produced by changing the stimulus female. Journal of comparative and physiological psychology, 56(3), 636.

Arbeitsweg und Wohlbefinden: Wer täglich pendelt, ist unzufriedener

Je länger der tägliche Arbeitsweg, desto niedriger die Lebenszufriedenheit. Diesen einfachen, aber doch erstaunlichen Zusammenhang deckten kanadische Forscher kürzlich auf. Sie untersuchten die Gründe dieses Phänomens und bieten Lösungen an.

Wer in den letzten Wochen und Monaten – gestresst durch die immer wiederkehrenden Streiks im öffentlichen Nahverkehr – versucht war, zukünftig dauerhaft auf das eigene Auto als Transportmittel zur Arbeit umzusteigen, dem raten Margo Hilbrecht, Bryan Smale und Steven E. Mock (Forscher an der Universität Waterloo, Kanada) davon ab. Denn sie entdeckten einen direkten Zusammenhang zwischen der Länge des Arbeitswegs und der allgemeinen Lebenszufriedenheit: Je länger man für den Weg zwischen Arbeit und Zuhause benötige, desto unzufriedener werde man im Allgemeinen.

 

Wie sich der tägliche Arbeitsweg auf das Wohlbefinden auswirkt

Die Forscher werteten eine Umfrage der kanadischen Regierung unter mehr als 3.000 Menschen aus, die täglich mit dem Auto zur Arbeit fahren. Sie untersuchten deren Zeitverwendungsmuster plus ihr Wohlbefinden. Um einen möglichen Zusammenhang zu untersuchen legten sie das sog. „Resource Drain Model“ zugrunde. Dieses ursprünglich aus der Beruf-Familien-Forschung stammende Konfliktmodell postuliert, dass Veränderungen in einem Tätigkeitsbereich andere negativ beeinflusst. „Resource Drain“, also der Abfluss von eigenen Möglichkeiten entsteht dann, wenn – beabsichtigt oder nicht – Ressourcen wie Zeit, Energie oder Aufmerksamkeit für einen Tätigkeitsbereich so stark verwendet werden, dass für andere keine oder zu wenige bleiben. Leistet man also ständig Überstunden, wird man kaum mehr Zeit mit Familie oder Freunden verbringen können. Abhängig von persönlichen Präferenzen, biologischen Bedürfnissen, sozialen Rollen und damit verbundenen Verpflichtungen beeinflusst also die Verwendung der eigenen Ressourcen die Lebenszufriedenheit.

Die Forscher wählten für ihre Analyse solche Aktivitäten aus, die mit Wohlbefinden assoziiert sind und werteten die Antworten der Studienteilnehmer auf Fragen nach deren alltäglichen Zeitdruck aus; und wie zufrieden sie allgemein mit ihrem Leben waren. Werte für das allgemeine Wohlbefinden wurden aus diesen Themenbereichen ermittelt.

Das Ergebnis dieser Auswertung ist bemerkenswert: Pendler mit längeren Anfahrtswegen bewerteten ihre Lebenszufriedenheit signifikant geringer und gaben an, unter höherem Zeitdruck zu stehen.

Das „Resource Drain Model“ erklärt diesen Zusammenhang so: Wer lange Anfahrtswege in Kauf nehmen muss, hat weniger Freizeit, was sich unmittelbar auf das eigene Wohlbefinden auswirkt.

 

Stress, Zeitdruck, Routine und die Folgen

Die Zeit, die täglich im Auto verbracht wird, wird von den meisten als sehr stressig empfunden. Stau und stockender Verkehr erhöhen den Zeitdruck und führen zu Frustration. Das hat langfristig sogar negative Auswirkungen auf die physische und psychische  Gesundheit: Wie eine schwedische Studie ergeben hat, leiden Pendler häufiger unter Bluthochdruck, Übergewicht, geringerer kardiovaskulärer Fitness, Stress, Abgeschlagenheit und haben tatsächlich höhere Fehlzeiten.

Außerdem bedeutet mehr Zeit im Auto zwangsläufig weniger Zeit für andere Tätigkeiten. Wichtige Aktivitäten, die das Wohlbefinden steigern könnten, wie Zeit mit der Familie und Freunden verbringen oder Sport treiben, bleiben somit auf der Strecke.

 

Lösungen für Pendler

Fahrradfahrer und Fußgänger kommen meist entspannter an ihrem Arbeitsplatz an als Autofahrer. Das hat eine weitere Studie in diesem Zusammenhang ergeben. Sicher ist dies nicht für alle Pendler möglich. Daher empfehlen die kanadischen Forscher Arbeitnehmern, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen und vor allem, physische Aktivitäten in die tägliche Routine einzuplanen, da diese Stress lindern können. Arbeitgebern empfehlen sie, flexible Arbeitszeiten zu ermöglichen und Gelegenheiten zu bieten, körperliche Ausgleichs-Aktivität schon während der Arbeit auszuüben.

 

Wer täglich auf das eigene Auto angewiesen ist und lange Anfahrtswege hat, strapaziert seine physische und psychische Gesundheit. Wer jedoch einen Arbeitsplatz in der Nähe seines Zuhauses hat und sich regelmäßig körperlich betätigt, steigert seine Lebenszufriedenheit und letztlich sein persönliches Glück.

 

 

Quellen:
Hansson, E., Mattisson, K., Björk, J., Östergren, P.-O., & Jakobsson, K. (2011). Relationship between commuting and health outcomes in a cross-sectional population survey in southern Sweden. BMC Public Health, 11, 834. doi:10.1186/1471-2458-11-834

Hilbrecht, M., Smale, B., & Mock, S. E. (2014). Highway to health? Commute time and well-being among Canadian adults. World Leisure Journal, 56(2), 151-163.

Turcotte, M. (2011). Commuting to work: Results of the 2010 General Social Survey. Canadian Social Trends, 92.

ADHS – Krankheit oder Erfindung?

Die Zahl der ADHS-Diagnosen steigt ständig und nimmt alarmierende Ausmaße an. Besonders häufig wird ADHS bei Kindern diagnostiziert, denen dann durch die Gabe von Ritalin geholfen werden soll, sich zu konzentrieren. Mehrere Wissenschaftler kritisieren diese Praxis jedoch scharf. Einige gehen so weit zu behaupten, die vermeintliche Krankheit sei reine Erfindung.

Laut einer Studie von 2007 wird weltweit bei etwa 5,3% aller Kinder ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung) diagnostiziert, Jungen sind ca. 4-mal häufiger betroffen als Mädchen. Die Krankheit beginnt in der Kindheit, setzt sich im Jugendalter fort und ist bei ca. 60% der Betroffenen auch noch im Erwachsenenalter bis in die Seniorenzeit nachweisbar. Sie macht sich durch Aufmerksamkeitsstörungen, Hyperaktivität und Impulsivität bemerkbar und führt zu erkennbar bedeutsamen Beeinträchtigungen der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit. Um Betroffenen zu helfen, wird ihnen oft der Wirkstoffs Methylphenidat (Ritalin) verschrieben, der die Wiederaufnahme des Neurotransmitters Dopamin hemmt und sich persönlichkeitsverändernd auswirkt. Dies hat gerade in den frühen Lebensjahren gravierende Auswirkungen: Medikamente, die diesen Wirkstoff erhalten, machen abhängig, haben starke körperliche und psychische Nebenwirkungen und erfordern eine immer höhere Dosis, da die körpereigene Produktion von Neurotransmittern lahmgelegt wird.

Seit einigen Jahren wird die schnelle Verschreibung von Ritalin daher stark kritisiert. Nun aber gehen mehrere Wissenschaftler – unter ihnen auch der Entdecker des ADHS – sogar darüber hinaus, indem sie die Erkrankung als schiere Erfindung bezeichnen.

 

Fehldiagnose ADHS?

„ADHD does not exist“ – so lautet der kontroverse Titel des Buches des US-amerikanischen Neurologen Dr. Richard Saul. Er begründet seine These vor allem damit, dass die Diagnosekriterien für ADHS lediglich eine Sammlung von Symptomen seien, die völlig verschiedene Ursachen haben können. Fast immer seien es psychosoziale Ursachen, die für die Symptome verantwortlichen sind.

Sogar der Entdecker des ADHS, Leon Eisenberg, war dieser Meinung und stellte dies im letzten Interview vor seinem Tod im Jahre 2009 klar. Zum Einen seien die Symptome völlig ungenau, subjektiv und unspezifisch. Denn wer habe nicht hin und wieder „Schwierigkeiten mit der Organisation“, eine „Tendenz, Dinge zu verlieren“, wer ist nicht manchmal „vergesslich oder abgelenkt“ oder „achtet nicht genau auf Details“? Viel zu schnell werde die Diagnose ADHS vergeben und Ritalin verschrieben – nach der zugrundeliegenden Ursache werde nicht weiter geforscht.

Dies ergab auch eine Studie der medizinischen Forscher Rae Thomas, Geoffrey Mitchell und Laura Batstra, die zwar ADHS als Krankheit nicht leugnen, aber dennoch sehr viel genauere Diagnosekriterien verlangen, um Fehldiagnosen zu vermeiden.

 

Die Fragen Betroffener

Menschen, denen eine ADHS-Diagnose gestellt wurde, reagieren verständlicherweise oft empört auf die Behauptung, ihre Erkrankung existiere gar nicht. Schließlich hilft Ritalin vielen von ihnen, ihr Leben zu organisieren, sich zu konzentrieren und überhaupt erst leistungsfähig zu sein.

Doch ADHS-Kritiker leugnen nicht die Symptome an sich, sondern weisen darauf hin, dass sie andere als neurologische Ursachen haben. Psychosoziale Belastungsfaktoren, die dafür verantwortlich gemacht werden, dass die Krankheit bis ins Erwachsenenalter persistiert, könnten die wahren Ursachen für das Auftreten der Symptome sein. Diese können aber natürlich nicht mit Medikamenten „geheilt“ werden.

Die Kritik daran, dass ADHS häufig schnell und anhand subjektiver Kriterien diagnostiziert wird, muss in jedem Fall ernst genommen werden. Gerade Eltern betroffener Kinder hilft es, sich genauer mit dem Thema auseinander zu setzen. Kindern Medikamente zu geben, nur weil sie für den Geschmack des ein oder anderen Lehrers zu unruhig sind, ist sicher keine gute Lösung. Denn manchmal können die Symptome auch für sehr positive Seiten stehen: Begeisterungsfähigkeit, Energie, Offenheit für Neues, Kreativität, große Begabung zum Multitasking und Improvisationstalent.

 

Quellen:

Thomas, R., Mitchell, G. K., & Batstra, L. (2013). Attention-deficit/hyperactivity disorder: are we helping or harming? BMJ, 347, f6172.

Polanczyk, G., de Lima, M. S., Horta, B. L., Biederman, J., & Rohde, L. A. (2007). The worldwide prevalence of ADHD: a systematic review and metaregression analysis. The American journal of psychiatry, 164(6), 942-948.

Saul, R. (2014). ADHD does not exist. Harper Collins.

Interview Leon Eisenberg:

Diagnose Bore-Out

M94.5 Interview mit Dr. Stephan Lermer zu Bore-Out

      1. Diagnose Bore-Out