Selbsteinschätzung: Wie gut kennen wir uns selbst?

Wer sich beruflich orientieren will, sollte in der Lage sein, seine Fähigkeiten, Potentiale und Interessen realistisch einschätzen zu können. Auch im Privatleben ist diese Fähigkeit wichtig: Sie hilft, eigene Entwicklungsfelder zu entdecken und sich individuell oder auch gemeinsam als Paar weiterzuentwickeln. Ergebnisse der psychologischen Forschung zeigen jedoch, dass sich viele Menschen mit Selbsterkenntnis schwer tun.

Selbstverständnis und –erkenntnis sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Selbstfindung: Nur wer seine Stärken und Schwächen richtig einschätzen kann und seine Interessen kennt, kann es schaffen, langfristig glücklich zu sein – ob im richtigen Beruf, der Partnerschaft oder in der Freizeitgestaltung. Zwei Studien zum Thema Selbstkonzept präsentieren jedoch eher ernüchternde Ergebnisse, denn offensichtlich fällt es vielen Menschen schwer, sich selbst richtig einzuschätzen.

 

Fehlerhafte Selbsteinschätzung

Die Psychologen Ethan Zell und Zlatan Krizan der Universitäten in North Carolina und Iowa State fassten kürzlich 22 Metaanalysen mit insgesamt mehr als 200.000 StudienteilnehmerInnen zusammen, die die Übereinstimmung zwischen Selbsteinschätzungen eigener Fähigkeiten und objektiven Leistungsmaßen untersuchten. Im Gegensatz zur weitläufigen Meinung konnten sie nur einen mäßigen Zusammenhang finden, denn oft waren die StudienteilnehmerInnen nicht in der Lage, ihre Fähigkeiten in den Bereichen akademische Kompetenz, Intelligenz, Sprachkompetenz, medizinische Kenntnisse, sportliche und berufliche Fähigkeiten korrekt einzuschätzen. Nur wenn nach spezifischen Kenntnissen gefragt wurde und die Leistungstests den ProbandInnen vorher bekannt waren, stimmten Selbsteinschätzung und objektiv gemessene Leistung stärker überein. Wurde dagegen nach Einschätzung der eigenen Fähigkeiten in weiteren Sinn gefragt, lagen die ProbandInnen mit ihrer Einschätzung weit daneben: Sie schätzten sich entweder für sehr viel besser oder sehr viel schlechter ein, als sie tatsächlich waren.

 

Erkenntnis der fehlerhaften Selbsteinschätzung kann Selbstbewusstein erschüttern

Die Ergebnisse der Studie von Robert Arkin und Jean Guerrettaz der Ohio State University gehen darüber noch hinaus: Sie zeigen, dass die Erkenntnis der eigenen fehlerhaften Einschätzung das Selbstbewusstsein stark erschüttern kann. Für ihre Studie befragten die beiden Psychologen ihre TeilnehmerInnen zunächst, wie sicher sie sich ihrer Selbsteinschätzung seien. Daraufhin teilten sie sie in zwei Gruppen auf: eine Gruppe mit ProbandInnen, die sich sicher waren, sich selbst gut zu kennen und eine mit TeilnehmerInnen, die sich ihrer selbst eher unsicher waren. Im nächsten Test wurden die ProbandInnen gebeten, zehn Charaktermerkmale zu nennen, durch die sich besonders auszeichnen und diese nach Wichtigkeit zu ordnen. Für die als besonders wichtig empfundenen Eigenschaften sollten die StudienteilnehmerInnen im Anschluss konkrete Beispiele aus ihrer Biografie nennen, um sie zu belegen. Besonders diese Aufgabe fiel den meisten der TeilnehmerInnen schwer, auch jenen, die zuvor angaben, sich selbst gut zu kennen. Wurden die ProbandInnen dann mit den Ergebnissen der Tests konfrontiert, zeigte vor allem die Gruppe, die zuvor angegeben hatten, sich gut einschätzen zu können, ein erheblich erschüttertes Selbstbewustsein.

 

Feedback einfordern

Die genannten Ergebnisse sind sicherlich ernüchternd. Die von Sokrates übermittelte Formel: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, scheint auch auf das Wissen über das eigene Selbst zuzutreffen. Im Gegensatz zur Selbsteinschätzung zeigt die Fremdeinschätzung jedoch sehr oft zutreffendere Ergebnisse. Um sich also seiner Selbst sicherer zu werden, kann es hilfreich sein, sich von anderen einschätzen zu lassen. Ob privat oder beruflich: eine Feedbackkultur, bei der das Gegenüber kontinuierlich und konstruktiv gespiegelt wird, scheint auf dem Weg der Selbsterkenntnis hilfreicher zu sein, als sich auf die eigene und oft fehlerhafte Einschätzung seiner Kenntnisse und Fähigkeiten zu verlassen.

Fazit: Ehrlich Freundschaften pflegen.

 

Quellen:

Frey, D. (2000). Kommunikations-und Kooperationskultur aus sozialpsychologischer Sicht. In: H. Mandl & G. Reinmann-Rothmeier (Hrsg.) Wissensmanagement. Informationszuwachs-Wissensschwund, (S. 73-92). München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.

Guerrettaz, J., & Arkin, R. M. (2015). Who Am I? How Asking the Question Changes the Answer. Self and Identity, 14(1), 90-103.

Zell, E., & Krizan, Z. (2014). Do people have insight into their abilities? A metasynthesis. Perspectives on Psychological Science, 9(2), 111-125.

Die Gründerpersönlichkeit (2)

Im Beitrag vom 5.10.2010 berichteten wir über die „Angst vor dem Scheitern“, die viele Unternehmensgründungen schon im Keim erstickt. Diese Angst scheint spezifisch deutsch zu sein, denn bei den Unternehmensneugründungen schneidet Deutschland schon seit Jahren im internationalen Vergleich schlecht ab.

Bleibt die Frage: Was braucht ein Unternehmensgründer eigentlich – außer geringer Angst vorm Scheitern? Welche Fährigkeiten und Eigenschaften muss er/sie mitbringen, damit die Gründung nicht schon in der Anfangsphase schiefgeht?

Für Professor Günter Müller, Co-Autor einer groß angelegten Studie des BDP (Berufsverband deutscher Psychologen und Psychologinnen) besteht die „unternehmerische Eignung“ zunächst aus einigen wichtigen Persönlichkeitsfaktoren: Sie lieben Aufgaben, die sie herausfordern. Sie haben ein Faible für Freiheit und Unabhängigkeit. Und sie schreiben Erfolge ihren eigenen Fähigkeiten zu, während sie Misserfolge auf widrige Umstände schieben. Das alles hilft, „dabei zu bleiben“, selbst wenn es einmal nicht so gut läuft. Denn Rückschläge und Unsicherheit muss man aushalten können.

Mindestens für genauso wichtig hält Müller solche Fertigkeiten, die durch Bildung und Training erfahren werden: Sozialkompetenz, Zeitmanagement, Selbstmanagement und Resilienz. Wer glaubt, als fertiger Unternehmer auf die Welt gekommen zu sein, hat wahrscheinlich übersehen, dass er/sie ein der eigenen Sozialisation die wichtigsten Verhaltensregeln und Eigenschaften erst lernen musste.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: http://www.bdponline.de/web/newsletter/2010/05.html

Die 5 größten Irrtümer in der Partnerschaft

Irrtum 4
Hauptsache wir lieben uns, alles andere ist egal.
Liebe allein reicht für eine Partnerschaft nicht aus. Im Idealfall sollte für die soziografischen Merkmale gelten: Gleich und gleich gesellt sich gern. Und für die psychografischen Merkmale: Gegensätze ziehen sich an. Also zum Beispiel Menschen der gleichen sozialen Schicht, mit ähnlichem finanziellen Status, aber was ihre Charaktereigenschaften, ihre persönlichen Wesenszüge betrifft, dürfen sie sich ruhig gegenseitig ergänzen. So dass der eine den anderen etwas erdet, der andere dem einen etwas Schwung gibt.

Irrtum 5:
Schau’n wir mal, lassen wir es auf uns zukommen.
Das Leben ist zu kurz, um darauf zu warten, dass „es“ geschieht. Man macht sich zum Opfer von System- und Sachzwängen, wenn man nicht genau weiß, was man will, und darum sein Ziel nicht konsequent verfolgen kann.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Lermer, Stephan. Liebe und Lust. Der neue Weg zum Partnerglück. Mary Hahn Verlag.

Psychologische Begriffe: ‚Big5‘

Was meinen Psychologen, wenn sie von den ‚Big Five‘ der Persönlichkeit sprechen?

Wissenschaftliche Psychologen und Praktiker versuchen, das Verhalten von Menschen zu erklären und vorherzusagen. Zum Beispiel wollen Personalverantwortliche wissen, wie gut sich ein bestimmter Bewerber machen wird und wie man ihn so einsetzt, dass er die beste Leistung erbringt. Klinische Psychologen wollen die Ursachen für Verhaltensstörungen erklären, damit sie sie beseitigen können. Forensische Psychologen müssen klären, ob ein Straftäter deviantes Verhalten in Zukunft wiederholt zeigen wird.

Alle diese Entscheidungen werden unter einer gewissen Unsicherheit getroffen, denn menschliches Verhalten ist von sehr vielen Faktoren abhängig, die niemals alle in einer Untersuchungssituation erfasst werden können. Außerdem ändern sich manche der Faktoren, wie die aktuelle Motivation oder der Gesundheitszustand sehr rasch.

Die psychologische Forschung hat sich deshalb sehr früh mit solchen verhaltenswirksamen Faktoren beschäftigt, die über die Zeit relativ stabil bleiben: Den Merkmalen und Ausprägungen unserer Persönlichkeit. Sie sind genetisch festgelegt und/oder (je nach psychologischer Anschauung)) in Kindheit und Jugend gelernt.

Unsere Persönlichkeitseigenschaften sind uns eigentlich nicht bewusst. Wie verschafft man sich dennoch einen Zugang zur Persönlichkeit des Menschen? Meist durch wissenschaftliche psychologische Tests und Fragebögen, in denen die Teilnehmer selbst Angaben zu ihrem Erleben und Verhalten in verschiedenen Situationen machen können und die nach wissenschaftlichen Kriterien objektiv ausgewertet werden.

Ziel der Auswertung ist es dabei, jedem teilnehmenden Menschen ein indiviuelles Persönlichkeitsprofil zuzuweisen – um ‚Schubladendenken‘ zu vermeiden und die Persönlichkeit zum Beispiel auf ein bestimmtes Merkmal zu reduzieren – wie wir es im Alltag oft machen: ‚Der ist dumm.‘ Oder: ‚Sie ist ein ordentlicher Mensch.‘

Persönlichkeitsfragebögen bestehen oft aus vielen Fragen. In der persönlichkeitspsychologischen Forschung hat sich gezeigt, dass man diese Fragen zur Beschreibung der Persönlichkeit ohne großen Informationsverlust auf wenige Faktoren zusammenfassen kann. Mit Hilfe statistischer Verfahren wie Cluster- oder Faktorenanalysen kann man diese ‚Persönlichkeitsdimensionen‘ extrahieren.

Dabei zeigte sich schließlich bei vielen Fragebögen, dass für eine relativ umfassende Beschreibung der Persönlichkeit fünf globale Faktoren übrig bleiben, nämlich:

  1. Offenheit für neue Erfahrungen und Menschen, Kreativität
  2. Verträglichkeit im Umgang mit anderen
  3. Extraversion: Kommunikation und Interaktion mit anderen
  4. Gewissenhaftigkeit: (Selbst-)Organisation und Verantwortlichkeit
  5. Emotionale Stabilität (Gegenteil: Neurotizismus)

Vorausgesetzt der Fragebogen genügt wissenschaftlichen Kriterien und die Teilnehmer sind ehrlich, kann nun für jeden Teilnehmer die Ausprägung auf jeder dieser Big5 Dimensionen bestimmt werden. Letztendlich nichts anderes als kompliziert berechnete Punktwerte.

Wichtig ist, dass die Persönlichkeit nicht allein durch das Ausfüllen eines Fragebogens bestimmt werden kann – Wie es Autoren mancher nichtwissenschaftlicher Fragebögen behaupten: „Wer bin ich? In 5 Minuten wissen Sie alles über Ihre Persönlichkeit!“. Erfahrene Psychologen suchen deshalb immer zusätzlich das Gespräch, ergründen die Biografie ihres Klienten/Patienten oder ziehen Ergebnisse aus Leistungstests hinzu.

gepostet i,.A. von Dr. Stephan Lermer