Dr. Lermer: Steinbrück hat TV-Duell gut genutzt

Das Wahlduell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück hat zumindest einen Sieger – die ARD. Ein klarer Trend für einen der Kandidaten zeichnet sich aber nicht ab. Grünen-Chefin Claudia Roth glaubt weiter an Rot-Grün und hofft auf die letzten Wochen.

Das TV-Duell hat diesmal mehr Zuschauer vor den Fernseher gelockt als vor vier Jahren, aber weniger als 2005. Alle fünf ausstrahlenden Sender zusammengerechnet, interessierten sich am Sonntag 17,63 Millionen Zuschauer (50,7 Prozent Marktanteil) für die Wahlveranstaltung. Das ist mehr als vor vier Jahren, als etwas mehr als 14 Millionen Zuschauer dabei waren, weniger aber als vor acht Jahren mit rund 21 Millionen.

Im Vergleich hat die ARD das Duell ab 20.30 Uhr nach Einschaltquoten gewonnen. 10,11 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 29,1 Prozent) verfolgten am Sonntagabend im „Ersten“ die verbale Auseinandersetzung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Peer Steinbrück.

Im ZDF schalteten zeitgleich 3,71 Millionen Zuschauer (10,7 Prozent) das Duell ein, auf RTL 2,22 Millionen Zuschauer (6,4 Prozent), auf ProSieben 1,51 Millionen (4,3 Prozent) und auf Phoenix 0,08 Millionen (0,2 Prozent).

Halskette der Kanzlerin beschäftigt Twitter-Nutzer

In sozialen Netzwerken erregte dagegen die Halskette der Kanzlerin größere Aufmerksamkeit als die politischen Streitthemen der Kontrahenten. Mit mehr als 6000 Followern am Montagmorgen hat die „Deutschlandkette“ sogar ein eigenes Twitter-Konto. „Die Tatsache, dass man sich um pol. Zustand eines Landes wegen einer Deutschlandkette sorgt, sagt viel über den pol. Zustand eines Landes aus…„, kommentiert Mareike-C. Wickner auf Twitter.

Roth hält an Ziel einer rot-grünen Regierung fest

Grünen-Chefin Claudia Roth setzt auch nach dem Fernsehduell auf eine rot-grüne Mehrheit nach der Bundestagswahl. Popularität allein genüge nicht, sagte Roth der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom Montag mit Verweis auf die Landtagswahl in Niedersachsen im Januar. Dort sei die CDU mit dem populären Ministerpräsidenten David McAllister ins Rennen gegangen und gescheitert. „Ebenso wenig wird es reichen, eine populäre Kanzlerin zu haben“, so die Grünen-Chefin.

Entscheidend seien die letzten zwei Wochen und besonders die letzten drei Tage vor der Wahl, betonte Roth mit Blick auf die schlechten Umfragewerte für ein rot-grünes Bündnis. Etwa 40 Prozent der Wähler hätten sich noch nicht entschieden.

Einer rot-rot-grünen Koalition erteilte Roth eine Absage. Vor allem der außenpolitische Kurs der Linken sei zu wenig differenziert und kaum kompatibel: „Der Umgang der Linkspartei mit internationalen Konflikten läuft nach dem Schwarz-Weiß-Muster ab, das ist keine verantwortliche Politik.“

Kommunikationstrainer: Steinbrück hat TV-Duell gut genutzt

Nach Einschätzung des Münchener Kommunikationstrainers Stephan Lermer hat Peer Steinbrück das Duell erfolgreich für sich genutzt. „Inhaltlich war ich beeindruckt von Herrn Steinbrück“, sagte Lermer am Sonntag im Anschluss an die Debatte der Nachrichtenagentur AFP. Allerdings hat die Kanzlerin die Live-Sendung Lermer zufolge souveräner absolviert.

Das ZDF komponiert einen TV-Duell-Rap:

Der Herausforderer habe sehr authentisch gewirkt. Sein Fehler sei aber gewesen, dass er zu verkrampft agiert und zu viel auf einmal gewollt habe. „Herr Steinbrück hat zu viele Inhalte in zu kurzer Zeit unstrukturiert auf einmal gebracht“, sagte Lermer. Weniger wäre demnach oft mehr gewesen. Zudem habe Steinbrück, wenn er gerade nicht sprach, in Haltung und Mimik „wie ein beleidigter Bube“ ausgesehen.

„Steinbrück hat die Inhaltsebene voll abgedeckt, aber Frau Merkel hat neben den Inhalten auch die Beziehungsebene bedient“, sagt Lermer. Anders als ihr Konkurrent habe Merkel öfter gelächelt und sich auch einmal Steinbrück zugewandt. Zudem habe sie sich bei den Inhalten auf weniger Kernbotschaften konzentriert. Ein weiterer Vorteil: „Wie US-Präsident Barack Obama bei seinen TV-Duellen hat Merkel Attacken des Herausforderers stoisch hingenommen“, sagte Lermer.

Auch die Ausstrahlung der Macht kam Merkel demnach zugute. „Dass sie am Ende zehn Prozent mehr Redezeit hatte, zeigt, dass die Journalisten mehr Respekt oder mehr Angst vor ihr hatten“, sagte Lermer. Die Art und Weise wie Merkel Unterbrechungsversuche der Journalisten hat abprallen lassen, habe jedoch unsympathisch gewirkt. Zudem sei die Häufung von „Floskeln“ bei Merkel auffällig.
Dennoch: „Merkel strahlt Geborgenheit spendende Kontinuität aus“, sagte Lermer.

Beide Kandidaten sind dem Kommunikationscoach zufolge eher unauffällig gekleidet gewesen. Merkels Kette in den Deutschlandfarben wirkte Lermer zufolge konservativ, doch die von der Flagge abweichende Farbanordnung signalisiere zugleich Kreativität. Lermer sieht darin ein Indiz für den Aufwand, den beide Kandidaten vor der Sendung betrieben haben: „Die Auftritte beider Kandidaten waren gründlich vorbereitet, da war jedes Lächeln kalkuliert.“ (AFP/dpa/Reuters)

Anmerkung: Den Artikel finden Sie auf der Homepage des Tagesspiegels. Ein weiterer Beitrag von Herrn Dr. Lermer zum Wahlduell ist auf der Seite „Die Welt“ abrufbar.

Dr. Lermer erklärt Serienhit „Under The Dome“ in der tz

Auf ProSieben startet aKuppel des Grauensm Mittwoch die US-Mystery-Serie „Under The Dome“ nach einer Vorlage von Stephen King. Ein Psychologe erklärt der tz, wie viel an dem Grauen unter der Kuppel tatsächlich real ist.

Das Horror­szenario – ein kleines Städtchen, abgeschnitten von der Außenwelt

Wer Spannung liebt, kommt am Mittwoch auf seine Kosten: Pro7 startet um 20.15 Uhr die brandneue US-Mystery-Serie „Under The Dome“ von Starautor Stephen King und Steven Spielbergs Produktionsfirma Amblin Television als Deutschlandpremiere. In den USA lief die Serie bereits im Juni an und war mit 13,5 Millionen Zuschauern der erfolgreichste Sommer-Serien-Start seit 1992. Nicht ohne Grund, die Story ist fantastisch!

Ein Flugzeug explodiert am Himmel, auf der Weide wird eine Kuh von einer unsichtbaren Klinge zerteilt, und wie aus dem Nichts stülpt sich eine riesige gläserne Kuppel über die Kleinstand Chester’s Mill in Neuengland. Alles sieht aus wie immer, und doch ist nichts wie zuvor. Die Bewohner sind von der Außenwelt abgeschnitten, müssen damit zurechtkommen, dass die Vorräte zur Neige gehen und der Überlebenskampf beginnt.

Die Romanvorlage lieferte Stephen King 2009 mit dem Buch „Die Arena“. Das Drehbuch zur Serie verantwortet Brian K. Vaugham, der auch schon den Serienhit Lost schrieb. Monster und Außer­irdische braucht Vaugham dabei nicht, Menschen in Panik sind Gefahr genug. Doch wer ist Schuld am Chaos? Die Regierung, Terroristen, oder ist es eine Strafe Gottes? Stephen Kings Spiel mit den Ängsten, dem Grauen des Alltäglichen, macht süchtig. Warum, fragte die tz den Münchner Psychologen Stephan Lermer, der im Interview erklärt, wie viel an dem Grauen unter der Kuppel tatsächlich real ist.

Warum ist „Under The Dome“ so spannend?

Stephan Lermer: Stephen Kings geniale Idee setzt an der Basis an, an der Angst des Menschen vor dem Tod. Der Mensch hat als evolutionäres Programm den Trieb, zu überleben. Besser als jedes Navigationsgerät hilft ihm dabei der menschliche Orientierungssinn. Wenn wir uns nicht mehr orientieren können, weil unser ganzes System ausgehebelt ist, fühlen wir uns im wahrsten Wortsinn wie im falschen Film. Weil wir nicht mehr der Regisseur unserer Lebensführung sind.

Es ist ja auch tatsächlich eine schreckliche Vorstellung, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.

Lermer: Die Situation ist vergleichbar mit der Belagerung einer Festung. Schon im Mittelalter folgte man dabei einem klassischen Muster: Einkreisen und warten, bis den Belagerten die Lebensmittel ausgehen. Der Mensch hat drei Grundbedürfnisse: das nach Autonomie, also Freiheit. Zweitens will der Mensch seine Kompetenzen entfalten, also zeigen können, was er kann. Drittens möchten wir uns eingebunden fühlen und dazugehören. Wenn das alles nicht mehr geht, sind wir sozusagen als Individuen aufgelöst.

Ist so ein Ausnahmezustand besonders schlimm, wenn man gar nicht weiß, wer der Feind ist?

Lermer: Ja. Das Grausamste ist der unsichtbare Feind. Er ist nicht kalkulierbar und bietet gigantische Projektionsflächen. Man kann sich unendlich viele schreckliche Dinge vorstellen.

Warum werden die Menschen in „Under The Dome“ so unberechenbar?

Lermer: Das Wort Persona heißt übersetzt Maske, und diese lassen die Menschen unter extremer Ängstigung fallen. Dann zeigt sich der wahre Charakter, ebenso wie nach einem Lottogewinn. Die einen lassen die Sau raus, die anderen werden sozial – unter der unsichtbaren Glocke werden die einen zu Plünderern, andere übernehmen soziale Verantwortung. Die einen sparen, um möglichst lange zu überleben, die anderen essen und trinken, als gebe es kein Morgen. Diese verschiedenen Verhaltensweisen zeigen Menschen in jeder von außen erzeugten Zwangsgemeinschaft, man denke an Grubenunglücke oder andere eingeschlossene Gruppen.

Also sind die Reaktionen der Menschen in der Serie ganz normal?

Lermer: Ja, tatsächlich. Es gibt in Zwangsgemeinschaften immer vier Positionen: Das Alphatier ist der Machthaber. Der hat einen engsten Kreis um sich, seine Direktoren oder Minister. Dann gibt es drittens das Volk, das geführt werden will. An vierter Stelle steht die Opposition, Menschen, die rebellieren. Das gibt es in jeder Schulklasse, in jeder Firma, in jedem Land und fast in jedem Roman.

Interview mit Susanne Sasse; Originalartikel ist auf der Seite der tz abrufbar.

Dr. Stephan Lermer erklärt, wieso wir den Krimi lieben – TZ vom 22/ 23. Juni 2013

tatortMünchen – Der „Tatort“ ist beliebter denn je. Regelmäßig knackt er die Zehn-Millionen-Zuschauer-Marke. Diplom-Psychologe Stephan Lermer erklärt, warum wir den ARD-Krimi lieben.

Nie war der Tatort so erfolgreich wie heute. Scheinbar mühelos erreicht er immer wieder die zehn Millionen ­Marke und beschert der ARD Quoten, von denen andere nur noch träumen können. Dabei sah es Ende der 90er-Jahre eher so aus, als habe die Krimireihe ihre besten Zeiten hinter sich. Doch das Auslaufmodell verwandelte sich erneut zur echten Wunderwaffe. Was ist das ­Erfolgsrezept des Krimiklassikers, der sich am Sonntag mit dem BodenSee-Tatort: Letzte Tage in die Sommerpause verabschiedet? tz-Reporterin Susanne Sasse sprach darüber mit dem Münchner Diplom-Psychologen Stephan Lermer, der sich schon auf die neuen Fälle ab dem 18. August freut.

Herr Lermer, haben Sie eine Erklärung ­dafür, dass regelmäßig über zehn Millionen Deutsche am Sonntagabend „Tatort“ schauen?

Stephan Lermer: Auch im Buchhandel sind ­Krimis ja neben Kochbüchern die Verkaufsschlager schlechthin. Das liegt zum einen an der sogenannten Angstlust. Das ist dosierbarer Kitzel, angsteinflößend aber nicht lebensbedrohlich. Der Grund, aus dem wir auf der Wiesn für die Achterbahn zahlen. Zudem fiebern wir mit, wissen aber, dass wir jederzeit aussteigen können.

 Es gibt unzählige TV-Krimis – warum ist ausgerechnet der „Tatort“ so beliebt?

Lermer: An sich ist das ja eine sehr staatstreue Krimiserie, erzählt aus der Sicht der Kommissare. Den Kriminellen wird klargemacht: Ihr habt keine Chance. Überspitzt gesagt: Der Münsteraner Pathologe findet anhand einer Wimper auch die Telefonnummer des Verbrechers heraus. Die Zuschauer sind Voyeure beim bösen Geschehen und haben gegenüber den Kommissaren immer ein wenig Wissensvorsprung. Damit ist der Tatort vergleichbar mit Straßenfegern von früher wie dem Stahlnetz. Er setzt auf den Wiedererkennungseffekt und darauf, dass die Zuschauer dabei sein wollen. Es macht Spaß, mitzuermitteln und am nächsten Tag mit den Kollegen den Fall zu analysieren.

Ist „Tatort“schauen dann eine Art gemeinschaftliches Ritual?

Lermer: Richtig. Wir Menschen wohnen ja in Gewohnheiten. Deshalb freut man sich vorher schon auf das lieb gewonnene Tatort-Ritual. Weil Vorfreude eine der größten Glücksquellen ist, gibt es den sogenannten Adventseffekt. Und man muss bedenken, dass der Sonntagnachmittag einer der größten Krisenzeitpunkte in einer Woche ist. Am Samstag war man im Baumarkt oder bummeln, am Sonntag schläft man aus und langweilt sich. Die meisten Scheidungsgespräche wer­den Sonntagnachmittag geführt. Da tut es gut, wenn man gemeinsam den ­Tatort anschaut.

Der „Tatort“ als ­Scheidungsverhinderer?

Lermer: Das könnte man so sagen. Die Tatort-Teams sind ja auch immer schwierige Zweierkombinationen. Da kracht es regelmäßig, aber am nächsten Morgen wird wieder zusammengearbeitet. Die Teams haben eine Gruppendynamik wie in einer Ehe, letztlich ist alles immer von Liebe und Humor getragen. Man reibt sich, aber man braucht einander, wie viele Ehepartner auch. Außerdem verbindet das Tatortschauen, weil gemeinsame Angst zusammenschweißt. Mein Rat in Ehekrisen: Tatort schauen oder gemeinsam Achterbahn fahren. Das verbindet ungemein.

Quelle: http://www.tz-online.de/aktuelles/stars/tatort-ard-krimi-psychologe-erklaert-warum-tatort-lieben-2968550.html