Bevor die Seele ausbrennt: Was hilft gegen Stress?

Ständiger Termindruck, Hektik, Dauerbelastung, kaum Zeit für sich selbst… So sieht der Alltag vieler Menschen aus. Laut einer bisher unveröffentlichten Forsa-Umfrage schätzen fast die Hälfte aller Befragten ihre tägliche Belastung als stark bis sehr stark ein (!).  Bevor jedoch der Stress überhand nimmt und es zu einem sog. Burnout kommt, ist es wichtig, die Ursachen der Belastung zu kennen und zusätzlich für Entspannung zu sorgen.

 

Für viele Menschen bedeutet Alltag das Einhalten von Terminen, körperliche oder psychische Belastungen sowohl an ihrem Arbeitsplatz als auch in ihrer Familie und fast ständige Anspannung. Die Folgen sind Physische und psychische Einschränkungen, die auf Dauer zu ernsthaften Erkrankungen führen können. Wie aber kann man diesem Dauerstress entgegenwirken? Wissenschaftler untersuchten nicht nur unterschiedliche Entspannungsmethoden, sondern fanden auch heraus, dass Stress bei Männern und Frauen unterschiedliche Folgen hat.

 

Stresssymptome

Physische Symptome, die von Dauerbelastung ausgelöst werden, sind weit verbreitet. Schlafstörungen, Rücken- oder Kopfschmerzen zählen hierzu. So gibt laut einer Umfrage der DAK jede/r zweite Kopfschmerzgeplagte an, Stress als Auslöser für sein/ihr Leiden auszumachen. Besonders betroffen scheint die Gruppe der 30- bis 59-Jährigen zu sein: hier nennen über 50% Anspannung als Hauptursache ihrer Kopfschmerzen. Doch auch psychische Probleme werden durch Stress verursacht. Depressionen und Burnout führen zu immer höheren Fehlzeiten am Arbeitsplatz. Psychische Erkrankungen sind seit 2014 sogar die Hauptursache für Krankschreibungen, wie ebenfalls aus einer DAK-Umfrage hervorgeht.

Frauen leiden deutlich häufiger unter Stress als Männer. Dies kann oft auf ihre Doppelbelastung zurückgeführt werden: Viele Frauen sind beruflich eingebunden und müssen sich zusätzlich um die Familie und den Haushalt kümmern, wobei sie durch ihre Männer nicht die nötige Entlastung erfahren.

Doch konnten Forscher auch andere geschlechtsspezifische Unterschiede ausmachen.

 

Stress macht Männer egozentrisch und Frauen empathisch

Das ist die Kurzfassung der Ergebnisse einer Studie von Neurologen der Universität Wien, die der Frage nachging, wie sich Stress auf die Fähigkeit auswirkt, sich in andere hineinzuversetzen. Unter Stress verhielten sich die männlichen Probanden dieser Studie egozentrischer und weniger empathisch, die weiblichen Versuchspersonen jedoch konnten besser zwischen selbst- und fremdbezogenen Emotionen und Kognitionen unterscheiden – eine Fähigkeit, die als Grundlage für Empathie gilt. Für diese Unterschiede werden biologische Ursachen vermutet: So schütten Frauen unter Stress mehr Oxytocin aus, ein Hormon, das einen starken Einfluss auf die soziale Interaktion hat. Denkbar sind auch erziehungsbedingte und kulturelle Einflüsse, die dafür sorgen, dass sich Frauen in Stresssituationen empathischer verhalten.

Wenn aber kulturelle Einflüsse wirken, könnten sie nicht grundsätzlich Ursache von Stress sein?

 

Stress – ein Statussymbol?

Von dieser These gehen einige Sozialkritiker aus, die behaupten, dass die Aussage, man stünde unter Stress, ein Bekenntnis zum Leistungsprinzip und zum Wettbewerb sei. Somit bliebe den Menschen gar nichts anderes übrig, als zu behaupten, sie stünden unter Stress – und würden diesen dann auch empfinden. Das klingt zunächst weit hergeholt. Dennoch lohnt es sich, kurz darüber nachzudenken, wie man wohl darauf reagieren würde, wenn jemand sagte, er stünde an seinem Arbeitsplatz gar nicht unter Stress – er habe eine völlig stressfreie Arbeitsstelle. Würde man diesem Menschen nicht in gewissem Maß seine Tüchtigkeit absprechen?

 

Wirksame Entspannungsmethoden

Ob nun gesellschaftlich verursacht, biologisch verstärkt oder individuell unterschiedlich empfunden – wer unter Stress steht, muss Methoden finden, um zu entspannen. Sonst wird die seelische Belastung auf Dauer zu stark. Auch bei den Methoden zur Entspannung unterscheiden sich die Geschlechter: Sport treiben oder im Internet surfen scheint eine eher „männliche“ Entspannungsmethode zu sein, während Frauen dem Alltag gern mit einem Buch entfliehen.

Neurowissenschaftlicher entdeckten das Meditieren als Mittel gegen Stress und konnten bei ihren ProbandInnen nicht nur das empfundene Stresslevel reduzieren, sondern auch erstaunliche Veränderungen im Gehirn nachweisen. Der nächste Blog-Eintrag wird sich daher mit dieser Methode genauer befassen.

 

 

Quellen:
Fokus 37/2015. Frauen leiden mehr unter Stress. (S. 15).

Fokus online 11.10.2013. Kopfschmerz-Geplagte sehen Stress als häufigsten Auslöser.

Kissler, A. (2013). Die Stress-Lüge. Cicero online. 12.11.2013

Münchner Merkur, 11.09.2015. Kranke Psyche führt zu Fehltagen. S. 29.

Spiegel online 11.08.2014. Fehlzeiten wegen psychischer Belastung steigen stark.

Tomova, L., von Dawans, B., Heinrichs, M., Silani, G., & Lamm, C. (2014). Is stress affecting our ability to tune into others? Evidence for gender differences in the effects of stress on self-other distinction. Psychoneuroendocrinology, 43, 95-104.

 

Burnout-Behandlungskosten sind als Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten steuerlich absetzbar

Immer wieder sind wir erstaunt, dass die nur wenige Besucher unserer Praxis von dieser Möglichkeit wissen: Behandlungskosten für berufsbedingte Krankheiten, die die Versicherung nicht trägt, können von steuerpflichtigen Personen als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgesetzt werden – und zwar ab dem ersten Euro.

Dazu gehören zum Beispiel auch berufsbedingte psychosomatische Krankheiten wie Rücken- und Kopfschmerzen, die in unserer Praxis erfolgreich und nichtinvasiv mit Entspannungstechniken kuriert werden. Oder chronische Magen-/Darmprobleme, die Symptome einer tiefer liegenden psychischen Problematik (zum Beispiel einer depressiven Verstimmung) sind. Oder ein Burnout-Syndrom infolge massiver Belastung am Arbeitsplatz.

Der Bund der Steuerzahler in Bayern BdSt weist ausdrücklich darauf hin, dass Krankheitskosten als Betriebsausgaben bzw. Werbekosten zu steuerlich relevanten Verlusten führen können, die auch noch in Folgejahren ausgeglichen werden können. Der Bundesfinanzhof führt aus: Krankheitskosten können Betriebsausgaben bzw. Werbekosten sein, wenn die Aufwendungen zur Heilung oder zur Vorbeugung von Krankheiten entstanden sind, die durch den Beruf bedingt sind. Dies kann beispielsweise bei typischen Berufskrankheiten oder durch einen betrieblich bedingten Unfall der Fall sein (BFH v. 17.7.1992, Az.: VI R 96/88 v. 28.11.1977 GrS 2-3/77)

Damit trägt der Fiskus der zunehmenden Dominanz von Leistungsdruck und Geschwindigkeit in unserer Gesellschaft Rechnung. Psychosomatische Beschwerden und Burnout infolge zu hoher Belastungen am Arbeitsplatz haben in den vergangenen Jahren enorm an Bedeutung gewonnen. Behandlungskosten für Depression und Burnout, sowie Folgekosten dieser Krankheiten auf Grund von Absentismus und Präsentismus (siehe unser Blog-Beitrag vom 23.3.09) sind derart explodiert, dass nun immer mehr die Prävention dieser Leiden in den Fokus rückt. Noch stecken allerdings betriebliche präventive Maßnahmen in den Kinderschuhen.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Hilton Talk München – Interview mit Dr. Stephan Lermer zum Thema „Burn-On statt Burnout“:

„Onkel Dagobert ist ein armes Schwein“: Interview mit Dr. Stephan Lermer.

Das Gespräch führte Michael Märzheuser (www.maerzheusergutzy.com)

Dr. Stephan Lermer definiert Burnout nicht als Krankheit, sondern als eine natürliche Reaktion eines gesunden psychosomatischen Systems auf langandauernde Überforderung. Für den Burn-On empfiehlt er Selbstreflexion und eine stärkere Würdigung der Zeit. Im Interview spricht er zudem über positiven Stress, die Opferrolle gehetzter Menschen und eine einfache Glücksformel.

MEDIEN-MONITOR: Die Zeit wird immer knapper, der Takt der Arbeitswelt schneller. Wenn sich die Gesellschaft beschleunigt, wie kann ich mich persönlich dann entschleunigen?

Dr. Stephan Lermer: Aus evolutionärer Sicht haben wir zwei widersprüchliche Programme in uns: Wir sollen sowohl Konstanz als auch Wandlung leben. Bei Entwicklungen wie im Augenblick sind wir besonders als Pioniere gefragt: denn wir werden bestimmt von der Dromokratie, der Macht der Geschwindigkeit plus der Infokratie, der Macht der Informationsfülle. Zusätzlich erleben wir eine nie gekannte Verdichtung unserer Arbeitswelt.

Wir alle kennen den Satz von Charles Darwin: „Survival of the fittest“. Die meisten übersetzen ihn mit „überleben werden die Stärksten“. To fit heißt aber auch „sich anpassen“. Ich meine, diejenigen werden überleben, die sich gut an die aktuellen Gegebenheiten anpassen können. Das heißt aber nun nicht, dass man deshalb ein angepasstes Opfer, ein willfähriger Opportunist werden muss. Eher ein Könner in erfolgsorientierter Assimilation.

Wir leben in einer Welt der Multi-Optionalität bei gleichzeitigem Optimierungsdrang. Würde man total in diese Falle gehe, wäre man verloren. Deshalb müssen wir paradoxerweise einen Schritt zurück gehen. Wenn ich gut damit leben kann, dass der Computer, den ich gestern gekauft habe, morgen zehn Prozent günstiger ist, bin ich einen Schritt weiter gekommen.

MEDIEN-MONITOR: Wir sind ständig gehetzt und müssen möglichst effizient arbeiten. Wie wirkt sich diese Arbeitsweise auf unsere Seele aus?

Lermer: In unserer Kultur neigen wir dazu, die Verantwortung für die eigene Lebensführung zu delegieren, an Sachzwänge, die Umstände etc.  Man sagt z.B.: „Ich kann nicht“ oder „ich muss“. Wir sollten lernen, dass Verantwortungsübernahme auf Dauer die einzige Lösung ist. Das Abgeben von Verantwortung an die Umstände würde uns zu Opfern machen und zum Gegenteil dessen, was wir sein wollen, nämlich die Gestalter unserer eigenen Lebensführung.

MEDIEN-MONITOR: Wie schafft man es trotz des zunehmenden Zeitdruckes, dem Effizienzdenken zu widerstehen?

Lermer: Hier kann man sich als erstes fragen, was man wirklich beklagt! Das sind die Pfeiler der Opferposition. Um sich zum konstruktiven Gegenstück, zum Gestalter zu emanzipieren, gilt es, sich das positive Pendant der beklagten Attribute zu vergegenwärtigen. Statt „gehetzt“ verfolge ich beispielsweise „entspannt“, „gelassen“, oder am besten: „souverän“ zu sein. Viele Menschen lassen sich dennoch hetzen. Machen sich zum Opfer der Umstände.

Mein ältester Coaching-Klient war 86 Jahre alt, ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Er kam wegen seiner Kinder zu mir und bedauerte, dass es ihm nicht gelungen war, seinen persönlichen Arbeitsstil an seinen Nachwuchs zu tradieren. Der Klient hatte früher Öle und Gewürze aus Südamerika und Kuba importiert. Mit der Schiffsladung kamen häufig Geschäftspartner zu Besuch. Nach Vertragsabschluss zogen sich die Handelspartner ins Herrenzimmer zurück und feierten den Deal mit Whiskey und Havannas. Man philosophierte und dankte Gott, dass die Ladung nicht durch einen Sturm vernichtet worden war. Mein Klient klagte nun aber, dass keines seiner Kinder derartige Ereignisse zelebrieren könne. Sobald ein wichtiges Etappenziel erreicht wurde, gingen sie zum nächsten Auftrag über: „pitching gewonnen, next please“. Dabei wäre eine Feier-Pause nach so einem Ereignis psychohygienisch sehr klug! Viele meiner Coaching-Klienten würden wahrscheinlich nicht einmal schlafen, wenn sie nicht schlafen müssten. Sie würden ökonomisch aktiv sein, weil der Markt es scheinbar diktiert.

MEDIEN-MONITOR: Wir haben ein Zitat von Ihnen im Internet gefunden. Es lautet: „Nicht Unglück ist das Gegenteil von Glück, Langeweile ist das kleine, das große Gegenteil ist die Depression.“ Können sie das erklären?

Lermer: In der Glücksforschung differenziere ich drei Glücksbegriffe. Erstens, Glück haben im Sinn eines Lottogewinns. Zweitens, Glück gehabt haben im dem Sinn, einem Unglück entgangen zu sein. Und drittens das Glücklichsein, also nicht luck, sondern happiness, nicht bonne chance, sondern fortune.

Wir Menschen sind Kontrastwesen und schätzen etwas mehr, wenn wir das Gegenteil davon kennen. Das kleine Gegenteil von Glück, das ist die Langeweile: wenn wir unterfordert sind und gerade nicht wissen, welche Vision wir haben, wohin wir streben, wo wir den Hebel ansetzen und wie wir unsere Energie einsetzen können, dann sind wir gelangweilt und unglücklich. Wenn wir nun aber auf Dauer gar keine Möglichkeit haben, Glück zu erreichen, kann sogar eine Depression auftreten. Man spricht hier von „erlernter Hilflosigkeit“. Glück und Depression kann man deshalb als Polaritäten erachten. Ich vertrete die Sichtweise, dass eine Depression meist die natürliche Reaktion einer gesunden Psyche auf Verlust ist. Parallel dazu neige ich immer mehr dazu, Burnout als eine natürliche Reaktion eines gesunden psychosomatischen Systems auf langandauernde Überforderung zu definieren – vergleichbar mit einer überlasteten Sicherung, die mit der Zeit durchschmort. Ähnlich wie Fieber.

Wenn man bedenkt, woher das Wort Burnout abgeleitet ist, wird das Bild noch klarer: Burnout nennt man das spektakuläre Verschmelzen der Hinterreifen, wobei trotz maximalem Vollgas das Auto oder das Motorrad durch die blockierten Vorderbremse dennoch auf der Stelle stehen bleibt oder sich höchstens im Kreis dreht und damit die Reifen verschmort.

MEDIEN-MONITOR: Weshalb sind Frauen häufiger vom Burnout betroffen als Männer?

Lermer: Meiner Ansicht nach deshalb, weil sie nicht trainiert sind, den roten Bereich in ihrem persönlichen Drehzahlmesser zu berücksichtigen. Frauen waren in den vergangenen Jahrtausenden damit beschäftigt gewesen, konstante Tätigkeiten auszuführen: sie haben Kinder und Alte versorgt, gesammelt, geerntet, gekocht und den Alltag gemeistert. Männer wurden hingegen trainiert, kurzzeitig Spitzenleistungen zu erbringen – etwa bei der Jagd, im Sport, im Krieg. Plötzlich müssen heute auch die Frauen Spitzenleistungen liefern. Doch im Gegensatz zu Männern haben sie noch nicht gelernt „jetzt reicht es mir“ zu sagen, sondern bemühen sich darum, Spitzenleistungen konstant zu erbringen. Natürlich ist das nur ein Faktor. Oft ist es auch die Kombination der vielfach ungelösten Mehrfachbelastung.

MEDIEN-MONITOR: Welche Rolle spielt der Stress im Leben?

Lermer: Hans Selye hat den Begriff Stress geprägt. Seiner Ansicht nach ist Stress das Maß der Belastung eines Systems. Wenn er zu groß oder zu gering wird, sprechen wir von Distress. Wenn er optimal dosiert ist, sprechen wir vom Eustress. Der in Chicago lehrende ungarische Glücksforscher Mihaly Csikszentmihaly hat gezielt Berufsgruppen wie Chirurgen, Berufstänzer, Bergsteiger und Schachspieler untersucht. Dabei hat er herausgefunden, dass jene Menschen, die ihre Berufung gefunden haben und selbstvergessen in ihrer Tätigkeit aufgehen im Tun, einen „Flow“ erleben. Die meisten Menschen spüren so etwas aber nur beim Hobby oder im Sport. Dann bekommen sie rote Ohren, Glanzäuglein und vergessen die Zeit. Man kann den Flow jedoch auch beruflich erreichen und dabei erfahren, dass Stress, wenn er optimal dosiert ist, regelrecht förderlich sein kann. Es geht um die angemessene Herausforderung und Belastung: nicht zu viel und nicht zu wenig.

MEDIEN-MONITOR: Wie helfen Sie Ihren Patienten, wenn diese mit einem Burnout-Syndrom zu Ihnen kommen?

Lermer: Jeder Patient braucht eine maßgeschneiderte Psychotherapie, oder auch Coaching. Denn jeder Mensch hat eine andere Persönlichkeit und eine andere Herkunft. Allein die Position in der Geschwisterreihe prägt die essentiellen Lebensentscheidungen. Es hängt viel davon ab, ob Sie Erstgeborener, Letztgeborener oder Sandwichkind sind. Erstgeborene zum Beispiel ergreifen überzufällig häufig konservativere Berufe. Letztgeborene werden eher Psychologen, Journalisten oder Medienleute. Sandwichkinder sind am ehesten psychotherapiebedürftig, weil sie keine eindeutige Rolle mitbekommen hatten: Sie waren weder die vernünftigen Ältesten noch die charmanten Jüngsten. Ich berücksichtige also immer die Familienkonstellation eines Patienten. Zudem ist es wichtig, ob zuhause offen kommuniziert wurde oder ob der Patient Probleme meist allein mit sich ausgemacht hat. Zu beachten gilt überdies, ob der Klient psychologisch fortgebildet oder Anfänger ist.

Gerade beim Coaching baue ich auch gerne die Profession des Klienten ins Coaching ein: einem 46-jährigen Architekten habe ich zum Beispiel vorgeschlagen, dass wir gemeinsam eine Altbausanierung seines Persönlichkeitsgebäudes vornehmen.

In der Regel kommen die Klienten einmal in der Woche zu mir, höchstens zweimal in der Woche. Man braucht schließlich zwischendurch Zeit zum Verarbeiten.

MEDIEN-MONITOR: Welche Tipps geben Sie zur Burnout-Vermeidung?

Lermer: Ich gebe weniger Tipps, sondern vermittle eher Strategien. Ich betreue zum Beispiel einen Klienten, der ein Unternehmen mit 50 Angestellten aufgebaut hat. Irgendwann litt er unter den acht Stunden Firmenpräsenz am Tag. Heute ist er nur noch drei Stunden pro Tag in der Firma und geht ansonsten in die Berge oder in den Wald. Dabei ist er aber immer erreichbar für Extremfälle. Ein weiterer Klient geht von sich aus gar nicht mehr in seine eigene Firma, sondern nur dann, wenn etwas nicht delegierbar ist. Er sagt, dass seine Mannschaft so gut sei, so dass er nur störe, wenn er ins Unternehmen kommt. Diese Form der Führung nennt sich Management by Exception.

Um einen Burnout zu vermeiden, muss man zudem über Zeitkompetenz verfügen. In diesem Kontext sind Pausen sehr wichtig. Die Forschung sagt, dass 20 Minuten Entspannung zwischen zwei und drei Uhr nachmittags den größten Erholungseffekt haben. Neben der Einstellungsänderung gilt es, noch ein paar Psychostrategien auf der Verhaltensebene zu beachten. Das altehrwürdige autogene Training ist zum Beispiel eine Technik, die jeder lernen kann und die keine Nebenwirkungen hat. Wir alle können uns auf Knopfdruck aufregen, aber wir können nicht auf Knopfdruck runterfahren. Yoga oder autogenes Training helfen uns dabei, das auf Dauer dann auch zu können.

MEDIEN-MONITOR: Gibt es eine Glücksformel?

Lermer: Wohlhabende Menschen wie Warren Buffet oder Bill Gates spenden Milliarden, weil sie Freude daran haben. Jeder gesunde Mensch, der etwas Neues entdeckt oder im Lotto gewonnen hat, will teilen oder mitteilen. Die Glücksforschung sagt, dass es sehr wichtig ist, andere glücklich zu machen. Das ist die zentrale Faustregel, wenn man selbst glücklich werden möchte. Onkel Dagobert ist eigentlich ein armes Schwein: einsam seinen Reichtum zu horten ist keine Glücksquelle, vielmehr wenn wir unsere Freunde und den Partner glücklich machen. Und das fängt mit einem Lächeln an. Sobald ich lächle, bekomme ich ein oder sogar mehrere Lächeln zurück – das ist die beste Investition, die es gibt. Meist mit einer umwerfenden Rendite.

MEDIEN-MONITOR: Wie steht es dann um den Egoismus?

Lermer: Erich Fromm hat die glückspendende Formel des „gesunden Egoismus“ geprägt. Dieser Egoismus geht nicht auf Kosten anderer. Seine eigenen Möglichkeiten aber darf und sollte jeder Mensch ausreizen.

MEDIEN-MONITOR: Wie definieren Sie Glück?

Lermer: Ganz verschieden. Die Tochter des verstorbenen österreichischen Glücksforschers Herbert Laszlo hat gerade ein Buch mit dem Titel „Fuck happiness“ veröffentlicht. Die verzweifelte Glückssuche kann also auch unglücklich machen. Glück ist für jeden je nach seiner Bedürfnispalette und Wertehierarchie  einmalig.

Ich persönlich definiere Glück als einen Zustand von Freiheit ohne Angst, als das Gefühl, angekommen zu sein, kurzfristig und ganz tief ein Gefühl von Gelingen zu empfinden.

MEDIEN-MONITOR: Kann man Glück lernen?

Lermer: Ja, durch klare Strategien und insbesondere durch Selbsterkenntnis. Ich muss mich fragen, was mir gut tut und was mir schadet. In meinen Vorträgen übers Glück konfrontiere ich das Publikum gerne mit einem kleinen Weltempfänger: bei dem zieht man die Antenne heraus und stellt einen Sender ein, etwa BBC oder den Bayerischen Rundfunk. Wir fangen lediglich ein Signal ein und verstärken es. Die befinden sich ja stets bereits um uns herum, sind alle schon im Raum. Ähnlich verhält es sich mit dem Glück: Das ist schon längst da, um uns herum, man muss es nur einfangen und verstärken. Das Glück sucht nach einem guten Landeplatz.

Auch das bewusste Training von Aktivität, Extraversion und Kommunikation mit Freunden fördert Glück. Allerdings darf man es nicht übertreiben. Für mehr als drei wirklich gute Freunde fehlt meist die Zeit. Zum Glück gehört aber auch eine gute Partnerschaft, sowie die Fähigkeit zu Demut und Dankbarkeit und natürlich viel Humor. Ich arbeite gerne mit der Abkürzung liD: die liebevolle, ironische Distanz: die lorioeske Sichtweise erachte ich als enorm wichtig, man darf die Dinge nicht zu ernst nehmen.

MEDIEN-MONITOR: Wie gelingt der Burn-On?

Lermer: Der Einzelne sollte erkennen, welche Bedürfnisse ihm wichtig sind. Ob ich gerne esse oder lieber Marathon laufe, ob ich gerne ein teures Auto fahre oder lieber gar keines, ist individuell. Neben der Bedürfnispalette zählt die persönliche Wertehierarchie. Bei Umfragen nach den wichtigsten Werten steht die Gesundheit meistens an erster Stelle. Für Männer steht meist die Arbeit, für Frauen meist die Partnerschaft gleich an zweiter Stelle. Doch wenn man genau hinschaut, ist ein Wert noch basaler als die Gesundheit: Die Zeit. Auch ein kranker Mensch hat die Chance, weiter zu leben. Deshalb ist die Zeit unser höchstes Gut. Die zentrale Frage ist: Was machen wir mit der Zeit? Vertreiben wir sie? Schlagen wir sie tot? Man sollte die Zeit, die man noch hat, stärker würdigen. Wenn wir uns bewusst vor Augen führen, was wir mit dieser Zeit tun sollten, um unser Leben als gelungen zu bezeichnen, dann haben wir die Lösung. Dafür brauchen wir eine realisierbare Vision, für die wir uns begeistern, für die wir brennen, und erfolgsorientierte Strategien, die zu uns und unseren Fähigkeiten passen. Dann fließt es.

Das Gespräch führte Michael Märzheuser beim Hilton Talk am 21. November 2012 in München.

Glückliche Menschen sind erfolgreicher – und weniger burnoutgefährdet

Der als Lambarene-Arzt bekannt gewordene Theologe und Philosoph Albert Schweitzer komprimierte diese Erkenntnis in dem Satz:
„Erfolg ist nicht der Schlüssel zum Glück. Wenn Sie Ihre Tätigkeit lieben, werden Sie erfolgreich“.

Heute will die Welt für solche Aussagen empirische Absicherungen. Dafür engagierte sich ein Team von
renommierten Glücksforschern und verfasste eine bahnbrechende Studie, in der die Psychologen mittels empirischer Untersuchungen nachweisen konnten: Ja, positive Affekte werden belohnt durch Erfolg. Unter „positiven Affekten“ versteht man Freude bis hin zur Begeisterung sowie Zufriedenheit bis hin zum Glücksgefühl. „Belohnt durch Erfolg“ meint nicht nur den finanziellen Aspekt, sondern ein generell gelungenes Leben, also eine gute Partnerschaft, Erfüllung im Beruf, Erfolg in puncto Freundschaften und  Gesundheit, eine hohe qualitätsgeprägte Lebenserwartung, und das alles verbunden mit dem Gefühl, näher am eigenen Sinn des Lebens zu sein.

Diese Studie von Sonja Lyubomirsky, Laura King und Ed Diener stammt aus dem Jahr 2005. Jetzt, sieben Jahre später konnte eine andere Forschergruppe erneut empirisch nachweisen, dass diese Reihenfolge zu beachten ist: Diejenigen waren am Ende die erfolgreicheren, die zu Beginn eines Vorhabens bereits zufrieden bis glücklich waren und an sich geglaubt hatten. Dabei wurde das Gefühl von Zufriedenheit bzw. Glück in alle drei Zeit-Richtungen abgefragt: in der vergangenen Woche glücklich gewesen, optimistisch in die Zukunft schauen, und die Befindlichkeit im Augenblick. Zur Negativ-Abgrenzung wurde überdies gefragt nach depressiven Verstimmungen, Appetitlosigkeit oder Gefühlen von Verzweiflung.

Die Studienleiterin, die in Kalifornien arbeitende deutsche Psychologin Claudia Haase, fasste die erfreulichen Zusammenhänge zwischen Glück und Erfolg so zusammen „Menschen mit ausgeprägtem positiven Affekt investieren mehr Zeit und Mühen, um ihre Ziele zu erreichen und lassen sich von Rückschlägen nicht aufhalten, weil sie davon überzeugt sind, dass sie diese Ziele aus eigener Kraft erreichen können“.

Demzufolge wären Unternehmer gut beraten, wenn sie ihren Mitarbeitern ein Glückstraining ermöglichen (oder selbst eines besuchen): Eine humane Win-win-Investition, die allen nur Vorteile liefert.

Quellen: 
Haase Claudia, Poulin Michael, Heckhausen Jutta: Happiness as a Motivator: Positive Affect Predicts Primary Control Striving for Career an Educational Goals. 
Personality and Sozial Psychology Bulletin 2012.

Lyubomirsky Sonja, King Laura, Diener Ed: The Benefits of Frequent Positive Affect: Does Happiness Lead to Success? 
Psychological Bulletin Vo. 131, Nr.6, 803-855, 2005.

Vorgesetzte vs. Burnout

„Direkte Vorgesetzte haben einen starken Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeiter“ weiß Detlef Hollmann, Projektmanager im Programm „Unternehmenskultur“ bei Bertelsmann. Und ergänzt: „Ein Chef, der kaum Gestaltungsfreiräume lässt, stark kontrolliert und wenig Anerkennung zollt, kann dazu beitragen, dass Beschäftigte krank werden.“

Hollmann muss es wissen, denn die Bertelsmann-Stiftung hat gerade zusammen mit dem Schweizer Institut Sciencetransfer eine umfangreiche Studie zu Burnout-Risiken durchgeführt. Das Ergebnis: Der wichtigste protektive Faktor gegen Burnout ist der direkte Vorgesetzte. Nimmt der sich wenigstens ab und zu Zeit für seine Mitarbeiter, ist deren Burnoutrisiko deutlich geringer: Schon ein fünftel mehr Zeit mit den Kollegen senkt die Wahrscheinlichkeit für burnoutbedingte Krankheitsfälle um 10%.

Wirkungsvollste Maßnahmen der Chefs gegen Burnout laut der Studie: Den Mitarbeitern möglichst viel Entscheidungsfreiheit lassen und das Teamklima stärken, sodass sich die Kollegen bereitwillig und gerne gegenseitig entlasten.


gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 19./20.7.2010. „Chef kann Burnout verhindern“.

Sie sind nicht allein…

Psychische Erkrankungen waren 2008 für 11% der Fehlzeiten verantwortlich. Den rasanten ‚Aufstieg‘ von Burnout, psychosomatischen Beschwerden und Co. versuchen Experten oft mit den – zum Glück – verbesserten Diagnosemöglichkeiten für derartige Krankheiten zu erklären: Früher wurden Kopf- und Rückenschmerzen oder vorübergehende Teilnahmslosigkeit eben oft ignoriert, auf körperliche Ursachen geschoben und mit Medikamenten behandelt. Heute werden psychische Leiden weitaus besser akzeptiert, und die Diagnosen in diesem Bereich sind präziser. Deshalb werden bestimmte psychische Erkrankungen eben häufiger festgestellt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, macht für die volks- und betriebswirtschaftlich beängstigende Entwicklung psychischer Krankheiten vor allem den Leistungsdruck am Arbeitsplatz verantwortlich: „Die Zunahme ist […] auch eine Folge der steigenden psychomentalen Anforderungen in modernen Dienstleistungsgesellschaften“.

Für die Entstehung von Burnout, psychosomatischen Erkrankungen und Depressionen sind zwei Faktoren entscheidend: Hohe Arbeitsbelastung und mangelnde Anerkennung (auch finanzieller Art).

Einige Jobs sind deshalb besonders risikobehaftet. Eine aktuelle Studie der Bundespsychotherapeutenkammer nennt unter anderen: Die Arbeit in Call-Centern, in der Pflege, als Sozialarbeiter und als Verkäufer. Gefährdeter sind nur Arbeitslose.

Die häufigsten Krankheiten sind übrigens Depression und Alkoholabhängigkeit. Gerade diese beiden Krankheiten werden zu Beginn von den Betroffenen häufig ignoriert und gelten deshalb zurecht als besonders gefährlich für den Einzelnen und als besonders schädlich für eine Volkswirtschaft. Allein die Behandlungskosten Depressiver betragen in Deutschland jährlich 4 bis 5 Milliarden Euro.

Zeit zum Umdenken! fordert die Bundespsychotherapeutenkammer deshalb seit langem, doch die erhobenen Zeigefinger werden vom Konkurrenzdruck mit leichter Hand weggewischt. Für alle Betroffenen bleibt im Moment der Trost: Diagnosen und nichtmedikamentöse Behandlungsformen der meisten psychischen Krankheiten haben sich stark verbessert. Und das wichtigste (und offensichtlichste): Sie sind nicht allein.

 

gespostet i.A . von Dr. Stephan Lermer
Quelle: http://www.bptk.de