Stimmt das mit dem Erwerb kommunikativer Kompetenzen durch Gesten? JA, sagt die Neurobiologie.


Von neuronaler Platizität, Sensitiven Phasen und Spiegelneuronen


Bereits vor dem Tag unserer Geburt sind wir fähig zu kommunizieren. Wir treten in Interaktion mit unserer Umwelt, ganz gleich was wir tun.

Schon Säuglinge können sehr deutlich kommunizieren. Dass es ihnen an sprachlichen Mitteln fehlt, liegt dabei nicht nur an mangelnder Erfahrung, sondern vor allem auch an biologischen Bedingungen: In den ersten Lebensmonaten entwickeln sich die Gehirnstrukturen erst, die für effektive Kommunikation verantwortlich sind – dafür in dieser Zeit besonders rapide.

Die Schnelligkeit und Güte der Entwicklung dieser Strukturen hängt dabei einerseits von unveränderlichen genetischen Faktoren ab, andererseits aber von Bedingungen, auf die insbesondere Eltern maßgeblich Einfluss nehmen können. Die letzten Jahre biopsychologischer Forschung haben uns tiefe Einblicke in die psychobiologischen Grundlagen des Spracherwerbs gewährt. Vor allem aus drei neurobiologischen Prinzipien lassen sich fundierte Handlungsempfehlungen für die kindliche Sprachentwicklung ableiten:

1. Neuronale Plastizität: Das menschliche Gehirn ist zu lebenslangem Lernen fähig. Grundlage von Lernen und Erfahrung sind Aufbau und Wiederherstellung von Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn. Ein Neugeborenes kommt mit ca. 50 Billionen dieser sogenannten neuronalen synaptischen Verschaltungen zur Welt. In den Jahren nach der Geburt, in der kritischen Phase der motorischen und der Sprachentwicklung also, werden ca. 1000 Billionen neuer Verknüpfungen gebildet, von denen anschließend die Hälfte wieder verkümmert, weil die Verschaltung dann effizienter und ressourcensparender organisiert wird. Kritisch für das Wachsen dieser Verbindung ist allerdings, dass das Gehirn qualitativ und quantitativ die richtige Dosis Input erhält: Lernen ist nur in Interaktion mit der Umwelt möglich. Neue Erfahrungen müssen zu spürbaren (und am besten angenehmen) Wirkungen führen, damit sie so „verschaltet“ werden, dass erfolgreich gelebt werden kann.

2. Sensitive Phasen: Für jede Fertigkeit gibt es kritische Zeitphasen, in denen das genetisch festgelegte Programm des neuronalen Wachstums besonders sensibel ist für Lernerfahrungen aus der Umwelt. Beim Spracherwerb gibt es mehrere solcher kritischer Phasen, die individuell verschiedene Verläufe zeigen:

a) Bereits vor der Geburt und in den ersten Lebensmonaten ist zunächst die rechte Gehirnhälfte für die Sprachentwicklung wichtig. Der Säugling lernt, sich in seiner kommunikativen Umwelt zu orientieren. Er sucht aktiv Orientierung an Kommunikationssignalen insbesondere der Mutter und reagiert auf Gefühlsaüßerungen. Er beginnt, selbst Lautäußerungen zu koordinieren. Zeigen Sie in dieser Phase Ihre Gefühle, suchen Sie Körperkontakt, schauen Sie das Kind an und geben Sie eindeutig verständliche Rückmeldungen.

b) Bis zum 20. Monat wird der Wortschatz vergrößert. Hier werden vor allem die ungeheuer vielen synaptischen Verbindungen, die in dieser Zeit entstehen genutzt, um Wörter, Gesten und Mimik zu lernen und sinnvoll zu verbinden. Reden Sie in dieser Zeit viel mit dem Kind und gehen Sie auf das Wissen ein, das es bereits besitzt. Das Kind kann so neues Wissen mit altem Verknüpfen. Es lernt, neue Begriffe sinnvoll einzubinden.

c) Vom 20.-25. Monat bis zum Alter von 3 Jahren lernt das Kind unbewusst, die grammatische Struktur der Muttersprache zu entschlüsseln. Achten Sie darauf, dass Sie selbst Grammatik und Wortwahl konsistent und korrekt benutzen.


3. Spiegelneuronen: In nahezu allen Gehirnregionen fanden Forscher in den letzten Jahren Nervenzellen, die ein faszinierendes Verhalten zeigen: sie reagieren nicht nur auf eigene Aktivitäten, sondern auch auf Dinge, die andere Menschen tun und sagen. Man nimmt an, dass diese Neuronen dafür verantwortlich sind, dass Kinder ein eigenes Bewusstsein erhalten. Und dass Kinder auf Grund dieser Zellen fähig sind, durch Nachahmung zu lernen. Die meisten dieser Zellen wurden bislang unterhalb des so genannte prämotorischen Areals, das für Handlungsplanung und –steuerung zuständig ist, entdeckt. Und zwar innerhalb einer Hirnregion, die für das Sprechen zuständig ist. Die wichtigste Aufgabe der Spiegelneuronen könnte demnach sein, Kommunikation zu lernen und zu üben. Besonders in den ersten Lebensjahren bilden die Spiegelneuronen viele synaptische Verbindungen aus. Die Spiegelzellen sind ein Beleg dafür, dass Kleinkinder vieles durch Beobachtung ihrer Bezugspersonen lernen.

Seien Sie also ein gutes Vorbild: Kommunizieren Sie deutlich und kommunizieren Sie ehrlich. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es erfolgreiche Kommunikation lernen und anwenden kann. Nutzen Sie Ihr Wissen um Ihre eigene kommunikative Kompetenz und geben Sie es Ihren Kindern weiter.

Quellen:

Bates, E. (1999). Plasticity, Localization and Language Development. In: Broman, S., and Fletcher, J. (1999). The Changing Nervous System. Oxford UP

John L. Locke (1993). The Child’s Path to Spoken Language. Harvard U Press

Kindlicher Spracherwerb durch Gesten – Was können Eltern und Großeltern tun?

Im Blog-Beitrag von gestern, 5.3.09 berichteten wir von einer Studie der University of Chicago, in der die Gesten der Kinder ihre eigene Sprachentwicklung fördern: 14 Monate alte Kleinkinder, die ca. 25 verschiedene Gesten beherrschen, haben später im Alter von viereinhalb Jahren durchschnittlich ein Vokabular von 114 Wörtern. 14 Monate alte Kleinkinder, bei denen nur ca. 15 verschiedene Gesten beobachtet wurden, können dreieinhalb Jahre später lediglich durchschnittlich 93 Wörter. Die Schere klafft mit zunehmendem Alter immer weiter auseinander. Es ist anzunehmen, dass sich die frühen Defizite im nichtverbalen Ausdruck auf die gesamte Kommunikationsfähigkeit eines Menschen auswirken.

Was können Eltern und andere nahe Bezugspersonen tun, um den Spracherwerb der Kinder schon früh zu fördern?

Die erste Regel lautet: Fördern Sie die Gesten, die Ihre Kinder machen, um etwas zu benennen. Sagen Sie zum Beispiel: „Ja, das ist ein Hund.“ Beschreiben Sie den Hund mit Ihren Worten für das Kind („Er macht wau-wau…, jetzt schäft er…“). Damit verstärken Sie aktiv die Kommunikationsfähigkeit der Kinder und das Benutzen von Gesten. Reagieren Sie auf die Gesten, die die Kinder machen und zeigen Sie den Kindern, dass Kommunikation sich lohnt, indem Sie freundlich sprechen und dabei lächeln. Verstärken Sie Gesten der Kinder bereits bevor Sie sprechen können mit sprachlichen Äußerungen. So lernen diese, dass verbale Kommunikation wichtig und sinnvoll ist.

Die zweite Regel: Seien Sie ein gutes Vorbild. Kinder profitieren gerade beim Spracherwerb extrem vom sogenannten Modelllernen. Sie imitieren Ihre Kommunikationsmuster, wenn sie der Meinung sind, dass diese Muster ihnen nutzen. Wenn Sie viel und oft Dinge benennen und verbal beschreiben, wird sich der Spracherwerb schneller vollziehen. Wenn Sie selbst Gestik und Mimik einsetzen, um Kommunikation effektiver zu gestalten, wird Ihr Kind das auch verstärkt tun – und seinerseits erfolgreicher kommunizieren.

Die dritte Regel: Gönnen Sie Ihren Kindern auch ab und zu Stille. Überfluten Sie sie nicht mit Information. Kinder brauchen die Stille, um Gelerntes zu „konsolidieren“. Umgangssprachlich sagt man, man sollte neu gelernte Dinge erst „sich setzen lassen“, damit sie später „sitzen“ und man sie erfolgreich anwenden kann. Kinder brauchen auch Zeiten der Stille, damit sie all das, was sie zuvor gehört haben, verarbeiten können. Schlecht wäre zum Beispiel, pausenlos den Fernseher laufen zu lassen. Gut dagegen, die Kinder auch einmal still vor sich hin spielen oder einfach schlafen zu lassen. Um dann wieder sprachlich und körpersprachlich mit ihnen zu kommunizieren.

Die Psychologinnen Susan Goldin-Meadow und Meredith Rowe von der University of Chicago untersuchten in einer Langzeitstudie den Zusammenhang von Gestik und Spracherwerb und deckten dabei auch gravierende Mängel bei der Kommunikation mit Kleinkindern auf. Der Spracherwerb von Kindern leide oft unter Stress, Zeitdruck und teilweise Interesselosigkeit der Eltern. Sie empfehlen, die Kommunikation mit Kindern bewusst zu suchen, denn von gelungenen Interaktionen profitieren nicht nur die Kinder, sondern unmittelbar auch Erwachsene. Wer ist nicht stolz und glücklich, wenn er erfolgreich mit Kindern kommuniziert, ihnen etwas beibringen kann oder sie zum Lächeln bringt?

Im nächsten Blog-Beitrag erfahren Sie einige biopsychologische Hintergründe des Spracherwerbs.

Quelle: Rowe, M, Goldin-Meadow, S, Ocskaliscan, S (2008). Learning words by Hands: Gesture´s role in predicting vocabulary development. First Language, 28 (2), pp. 182-199