Rauchen wie im Film…

Bitte erinnern Sie sich an die letzten drei Filme zurück, die Sie gesehen haben. Haben die Schauspieler in den Filmen geraucht? – höchstwahrscheinlich! In Hollywoodfilmen, die etwa 80% der Filme ausmachen, die wir sehen, raucht jeder vierte Akteur!

Das wäre kein Thema, wenn nicht Jugendliche das Verhalten „ihrer Stars“ imitieren würden. Doch genau das tun sie natürlich. Der Psychologe Todd Heatherton vom Dartmouth College in Hanover, New Hampshire und Kollegen haben in einer Studie wissenschaftlich untersucht, welche Folgen das Rauchen in Filmen auf junge Menschen hat:

Dazu analysierten sie in Langzeitstudien über 1000 Filme und befragten Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 14 Jahren. Das Ergebnis ist alarmierend: Kinder, die häufig „Rauchszenen“ ausgesetzt waren, hatten ein dreimal so hohes Risiko eine Zigarette zu probieren oder selbst Raucher zu werden als Kinder, die selten „Rauchszenen“ sahen! Zudem hatten die Kinder, die öfter Raucher in Filmen sahen, eine positivere Einstellung zum Rauchen und dachten, dass die meisten Erwachsenen auch rauchen würden.

Besonders überraschend war folgendes Ergebnis: Gerade den Jugendlichen, denen man ein niedriges Raucher-Risiko zugewiesen hätte, nämlich solchen, deren Eltern nicht rauchten und die selbst wenig sensationsgierig waren, zeigten den Effekt am stärksten!

Andererseits sind es gerade diejenigen Jugendlichen, die in ihrer normalen Umgebung häufig mit dem Rauchen konfrontiert werden, die dem Nachahmungseffekt weniger stark unterliegen.

Einer weiteren Studie der Medizinerin Susanne Tanski von der Dartmouth Medical School zufolge sei dabei sogar egal, ob in den Filmen die „Guten“ oder die „Schlechten“ rauchen.

Die Quintessenz aus der Studie von Heatherton ist die Einsicht, dass ein Rauchverbot für Filmcharaktere die Anzahl der Jugendlichen, die mit dem Rauchen beginnen, deutlich senken könnte.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Heatherton, T. F., Sargent, J. D. (2009): Does Watching Smoking in Movies Promote Teenage Smoking? Current Directions of Psychological Science, 18/2: pp. 63-67

Tanski, S. E. et al. (2009): Movie Character Smoking and Adolescent Smoking: Who matters more: Good Guys or Bad Guys?Pediatrics, 124: pp. 135-143

Psychologische Begriffe: ‚Carpenter-Effekt‘ – mit Selbst-Test!

„Mensch, brems endlich!“ – Kennen Sie Beifahrer, die immer mitbremsen?

Sie unterliegen einem interessanten psychologischen Effekt, den der englische Arzt und Naturwissenschaftler William B. Carpenter erstmals 1852 beschrieb: Nehmen wir eine Bewegung oder eine handlungsrelevante Situation war (Stau-Ende!, Bremslichter!), dann spüren wir bewusst oder unbewusst einen Hang dazu, die entsprechenden Bewegungen auszuführen.

Ein anderes Beispiel: Im Kino wird eine rasante Achterbahnfahrt aus der Perspektive der Fahrenden gezeigt. Beobachten Sie die Leute um Sie herum, wenn es in den Looping geht: Fast jeder macht kleine Bewegungen mit Gesicht und Körper mit – ganz so, als würde er sich selbst festhalten müssen. Manche gehen sogar richtig mit und lehnen sich etwas nach links oder rechts.

Im Beitrag vom 20.7.09 berichteten wir über Spiegelneurone – die neurophysiologischen ‚Auslöser‘ dieser unwillkürlichen Bewegungen. Wir zeigten auch, dass man nicht jede Bewegung, die man sich vorstellt (oder wahrnimmt), automatisch ausführt (oder kopiert), weil ein bewusster Hemmmechanismus uns davon abhält, auf das virtuelle Bremspedal vor dem Beifahrersitz zu treten.

Doch dieser Hemmmechanismus ist nicht perfekt – und so wird dem Carpenter-Effekt die Tür geöffnet.

Viele esoterische Phänomene, die zunächst Staunen hervorrufen, verlieren ihre Faszination, wenn man den Carpenter-Effekt berücksichtigt.
Bei vielen Wünschelrutengängern bewirkt zum Beispiel der unbewusste Gedanke daran, dass sich die Wünschelrute an einem bestimmten Ort bewegen könnte, dass sich das Verhalten der Armmuskeln unmerklich verändert – feststellbar nur an der Position der Wünschelrutenspitze. Was dann auf die falschen Ursachen zurückgeführt wird. Auch Pendeln und Gläserrücken funktioneren erwiesener Maßen nach dem Carpenter-Prinzip. Und nicht auf Grund irgendeiner höheren Macht.

Genau genommen ist der Carpenter-Effekt nur ein Spezialfall des sogenannten „Ideomotorischen Gesetzes“ (auch als ideomotorisches Prinzip bezeichnet). Es umfasst neben dem Carpenter-Effekt das ‚Ideo-Real-Gesetz‘, das Gefühlsansteckung (zum Beispiel im Kino), Mimik, Suggestion und Hypnose mit einschließt.

Genutzt wird das ideomotorische Prinzip vor allem in der Psychotherapie – bei Entspannungsübungen und im Autogenen Traning. Unter professioneller Anleitung wird hier gelernt, sich wirksam selbst zu beeinflussen, ruhig zu werden, Stress abzubauen. Dabei steht die intensive Vorstellung im Mittelpunkt, zur Ruhe zu kommen. Was dann auch wirklich passiert.

Zum Schluss ein einfacher Test zur Überprüfung des Effekts: Nehmen Sie sich ein Pendel zur Hand. Dieses Pendel kann wahrsagen! Halten Sie es mit der linken Hand in der Luft. Ihre rechte Hand befindet sich unterhalb des Pendelgewichtes. Das Pendel wird nun ja-nein-Antworten geben, und zwar folgender Maßen: Wenn Sie ihm eine Frage stellen, wird es nach einiger Zeit anfangen, sich zu bewegen: Wenn die Antwort ’nein‘ lautet, wird es hin und her schwingen. Lautet die Antwort ‚ja‘, wird es anfangen zu kreisen. Hin und her für ’nein‘, kreisen für ‚ja‘. Bewegen Sie NICHT ihre Finger! Alles klar? Viel Spaß!

Zur Überprüfung: Nehmen Sie das Pendel zur Hand und denken Sie über längere Zeit: nein nein nein nein nein…. Bewegt sich das Pendel hin und her, selbst wenn Sie Ihre Finger nicht bewegen? Was passiert, wenn Sie statt dessen ‚ja ja ja ja ja…‘ denken? Sehen Sie…

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Das Lächeln einer Frau

…macht Männer attraktiver!

Dieses kuriose Ergebnis veröffentlichte eine schottische Forschergruppe um Prof. Ben Jones. Ihrer Studie war die evolutionsbiologische Vermutung vorausgegangen, dass viele Frauen sich bei der Partnerwahl von den Präferenzen anderer Frauen leiten lassen: Wen viele Frauen toll finden, der ist ein toller Typ!

Dieses sogenannte ‚mate choice copying‘ findet man bei vielen Tierarten, inklusive Primaten. Nebenbei ist das Verhalten natürlich ein Hauptgrund für Eifersucht.

Zur Überprüfung ihrer Annahmen zeigten Jones und seine Kollegen ihren Probanden Bilder von Männern, deren Attraktivität zuvor als gleichwertig eingeschätzt worden war. Das Interessante dabei war die Anordnung: Zwischen zwei Männergesichtern war eine Frau abgebildet, die einen der beiden Männer anlächelte und dem anderen sozusagen die kalte Schulter zeigte.

Das Ergebnis: Die weiblichen Versuchsteilnehmer schätzten die angelächelten Männer als weitaus attraktiver ein! Männer dagegen fanden die angelächelten Gesichter weniger attraktiv. Den erstaunlichen Geschlechterunterschied erklärt Jones so: „Bei Männern bewirkt der Kampf um das andere Geschlecht die Aktivierung von negativen Vorurteilen gegenüber Konkurrenten, die das Ziel positiven sozialen Interesses von Frauen sind.“ Kurz: Angelächelte Männer werden als Konkurrenz erkannt und sofort abgewertet.

Frauen dagegen verfallen dem Phänomen ‚Soziale Attraktivität‘ – nach dem Motto: „Wer in anderen Frauen Sympathien erweckt, tut das auch bei mir.“

Professionelle Partnervermittlungen nutzen das Prinzip bereits, indem sie Männern bei der Partnersuche attraktive Frauen (sogenannte ‚Wingwomen‘) zur Seite stellen, die sich einfach mit ihnen unterhalten und sie anlächeln – Eindruck bei anderen Frauen garantiert!

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Proceedings of the Royal Society B (DOI: 10.1098/rspb.2006.0205)

Wenn Verbote und Richtlinien nach hinten losgehen – Die Macht negativen sozialen Einflusses

Eine alarmierende Nachricht auf Ihrem Schreibtisch: Die Präsenz der Mitarbeiter bei Meetings ist in den letzten Wochen zurückgegangen. Im Schnitt fehlten 7% der Mitarbeiter bei wichtigen Meetings – aus nichtigen Gründen! Innerlich kochen Sie.

Sie beschließen, den Mitarbeitern sachlich anzukündigen, dass viele Kollegen in der letzten Zeit ihre Teilnahme an Meetings absagten und dass der Zustand so nicht tragbar sei. Was passiert nun in der Folge?

Mehr Mitarbeiter werden fernbleiben!

Das Phänomen heißt ‚Negative Soziale Bewährtheit‘ und beschreibt das Verhalten von Menschen, sich in Entscheidungssituationen (zum Meeting gehen oder nicht) an den Ansichten und dem Verhalten anderer Menschen zu orientieren. Würden Sie also publik machen, dass viele Kollegen den Meetings fernbleiben, werden mehr folgen, weil sie sich unbewusst an Ihrer Aussage orientieren: ‚Na, wenn so viele wegbleiben, kann ich mir das auch einmal leisten – nur einmal.‘

So kontraintuitiv das Phänomen scheint – es ist universell und gut belegt. Beispielsweise entstehen wie von selbst Müllberge in Parks, wenn zufällig jemand Müll an einer Stelle zurück gelassen hat. Schema: ‚Aha, da liegt schon etwas – da kann ich meins dazuwerfen.‘ Und schon türmen sich die Bananenschalen.

In der ‚Petrified Forest Studie‘ zeigte Prof. Robert Cialdini, wie man es richtig machen kann – und wie man es falsch macht: Er brachte an den drei Eingängen des Nationalparks verschiedene Schilder an, die zum Ziel haben sollten, die durch die Touristen verursachte ‚Abwanderung‘ von Hölzern zu verringern. Auf Schild 1 stand: „Many past visitors have removed the petrified wood from the park, changing the natural state of the forest!“ – das Negative-Soziale-Bewährtheit-Schild. Schild 2 zeigte eine Person, die Holz stiehlt mit einem roten Kreis um das Bild und der Aufschrift „Please don´t remove the petrified wood from the park, in order to preserve the natural state of the forest!“ – eine ganz einfache Bitte. Am dritten Eingang wurde kein Schild aufgestellt. Um den Holzdiebstahl zu überprüfen, brachten die Untersucher markierte Hölzer an verschiedenen Stücken des Wegs an.

Das Ergebnis: Ohne Hinweisschild wurden 2,92% der Hölzer gestohlen. Mit der Bitte, dies zu unterlassen, sank die Quote immerhin auf 1,67%. Und beim Hinweis darauf, dass die Vielzahl von Holzdieben den natürlichen Zustand des Parks verunstalte? – Satte 7,92% der ausgelegten Hölzer wurden entwendet – die Quote stieg also beinahe um das 3fache an!

Was sollte man also tun? Formulieren Sie Bitten und Verbote klar und positiv. Und weisen Sie auf keinen Fall auf all diejenigen hin, die das unerwünschte Verhalten vorleben – sie werden Nachahmer finden. Und leere Räume.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Cialdini, R. et al. (2006). Managing social norms for persuasive impact. Social Influence, 2006, 1 (1), 3-15

Psychologische Begriffe: Fundamentaler Attributionsfehler

Stellen Sie sich vor, Sie sehen sich das abendliche Fernsehquiz an. Wen halten Sie gewöhnlich für schlauer? Den Quizmaster oder die Kandidaten? Und wie steht es mit Ihnen selbst? Sind Sie schlauer als der Quizmaster oder die Kandidaten oder liegt Ihre Intelligenz irgendwo dazwischen?

Nicht sicher? Stimmt. Wir wissen es eigentlich nicht. Vor allem nicht in Einzelfällen. Trotzdem scheint der Quizmaster immer alle Antworten zu kennen und kann sich darüber auch eloquent äußern. Sicher ein intelligenter Mann. Und die Kandidatin: bei 500€ versagt. Nicht die Hellste.

Die oben beschriebene Einschätzung ist ein gutes Bespiel für einen oft begangenen Wahrnehmungsfehler, der im Englischen als ‚Actor-Observer-Effect‘ bezeichnet wird. Er beschreibt die Tatsache, dass wir Verhalten anderer Menschen oft auf deren Persönlichkeit zurückführen, während wir unsere eigenen Verhaltensweisen gewöhnlich differenzierter betrachten und auf die Umstände schieben.

Ein weiteres typisches Beispiel für den im deutschen als ‚Fundamentaler Attributionsfehler‘ bekannten Effekt ist Streit in der Partnerschaft: „Immer wirfst du mir Dinge vor, die unter die Gürtellinie gehen! So bist du eben: Kein Niveau!“ Man selbst ist natürlich „jedesmal anders“ und kann sich gut auf verschiedene Themen und Situationen einstellen. Der andere „ist halt so“, demnach persönlich verkorkst und eigentlich nicht mehr zu retten. Der Streit eskaliert.

Für den Fundamentalen Attributionsfehler gibt es vier wesentliche Erklärungen:

  1. Unterschiedliche Informationsgrundlage: Offensichtlich wissen wir mehr über uns selbst als über die anderen Menschen. Wir erleben uns in vielfältigen, unterschiedlichen Situationen und begreifen, dass wir uns je nach Situation auch unterschiedlich verhalten. Unsere Interaktionspartner dagegen lernen wir in immer gleichen oder sehr ähnlichen Situationen kennen – die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie sich auch immer gleich verhalten. Zudem versuchen unsere Interaktionspartner oft auch aktiv, uns ein gewisses (meist positives) stimmiges Bild zu liefern, indem sie sich möglichst gleich verhalten. Sie liefern uns damit selbst einseitige Informationen.
  2. Unterschiede in der Wahrnehmungsperspektive: Insbesondere in Kommunikationssituationen ist die eben Situation für uns sehr wichtig und wird deshalb verstärkt wahrgenommen. Wir selbst treten wahrnehmungsmäßig in den Hintergrund. Beobachten wir dagegen eine Kommunikationssituation von außen, achten wir verstärkt auf das Verhalten der Akteure, die ja zur Situation gehören und die Hauptrolle darin spielen.
  3. Selbstwertdienlichkeit: ‚Wenn es andere tun, ist es deren Fehler. Wenn ich es selbst tue, ist die Situation schuld.‘ Beobachten Sie sich einmal selbst, wenn Sie über negative Dinge berichten: Sie werden versuchen, sich vor sich und anderen selbst zu entschuldigen, indem Sie die Umstände verantwortlich machen. Zurecht. Denn Ihr Selbstwertgefühl würde erheblich leiden, wenn Sie sich für alles Negative allein verantwortlich machen. Wollen wir auf Dauer glücklich und nicht depressiv sein, brauchen wir diese ’selbstwertdienliche Attribution‘ sogar. Andere für Missgeschicke verantwortlich zu machen ist dagegen in der Regel einfach und berührt meist nicht unser persönliches Selbstwertgefühl.
  4. Kontrollbedürfnis: Menschen haben das Bedürfnis, das Verhalten anderer in unsicheren Situationen voraussagen und kontrollieren zu können. Deshalb ist es von Vorteil, den anderen ‚zu kennen‘. Man erwartet (oder hofft) also, dass sich Menschen in allen zukünftigen Situationen gleich verhalten. Nämlich so, wie sie sich bisher auch verhalten haben. Wir sagen dann letztendlich: Aha, so sind sie eben. Wenn ich also A sage, sagen sie mit großer Wahrscheinlichkeit B.

Der Fundamentale Attributionsfehler hat also einen großen Vorteil und zwei kleinere Nachteile: Auf der einen Seite lässt er uns das Verhalten anderer Menschen mit ziemlicher Sicherheit und wenig geistigem Aufwand voraussagen.

Auf der anderen Seite kann durch ihn unsere Einschätzung anderer leicht manipuliert werden (vor allem zum Positiven in Kombination mit dem Halo-Effekt, siehe Beitrag vom 27.5.09). Und er stellt uns oft ein Bein bei Menschen, die wir eigentlich gut kennen sollten.

Gerade zur Lösung von Konfliktsituationen mit Freunden, langjährigen Kollegen und Partnern ist es deshalb von Vorteil, sich in sie hineinzuversetzen und zu versuchen, ihre Perspektive wahrzunehmen. Als Mensch, der sich in verschiedenen Situationen eben auch verschieden verhält. Und nicht ’so ist, wie er eben ist.‘

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

„Der Mensch trägt eine Sehnsucht in sich, das Leben beeinflussen zu können“ – Die Papierkugel Gottes

Interview mit Dr. Stephan Lermer, Financial Times Deutschland


Es ist nur eine simple Papierkugel, wie sie so oft von Fußball-Fans in Richtung Rasen fliegt. Normalerweise sind die zusammengeknüllten Fetzen keine Erwähnung wert. Doch diese Papierkugel spielte ein bisschen Schicksal.

Die Kugel aus Papier löste besonders im Internet ein wahres Feuerwerk an Reaktionen und lustigen Angeboten auf Ebay aus – und Anhänger von Werder Bremen und dem Hamburger SV werden vielleicht noch in Jahren über sie sprechen.

Im UEFA-Cup-Halbfinale zwischen den beiden Nordrivalen HSV und Werder ließ die etwa faustgroße Kugel den Ball holpern, führte zur Ecke und leitete so das entscheidende Tor für Werder ein. Das Original wird bis 23.00 Uhr am 20. Mai, dem Abend des Endspiels zwischen Werder Bremen und Schachtjor Donezk, für einen guten Zweck versteigert.

Doch wieso provoziert ein einfaches Stück Papier, im Netz inzwischen auch als die «Papierkugel Gottes» bekannt, so viele Trittbrettfahrer? Wieso sorgt sie für so viel Gesprächsstoff?

Der Münchner Diplom-Psychologe Stephan Lermer sagt der Deutschen Presse-Agentur dpa, der Wirbel um die Kugel zeige, dass in den Menschen etwas lodere und sie unerfüllte Wünsche haben. «Der Mensch trägt eine Sehnsucht in sich, das Leben beeinflussen zu können.» Normalerweise könne er aber weder auf sein Leben noch auf ein Fußballspiel Einfluss nehmen. «Wenn jetzt Zufälle ein Schicksal auslösen, klinken sich die Menschen ein. Wenn plötzlich ein Zuschauer aus der Masse ein Tor mit auslösen kann, ist eine Sehnsucht erfüllt – wir können etwas bewegen.»

Zudem seien viele Geschehnisse in der Regel nicht zu erklären, die Papierkugel biete dagegen eine Erklärung, sagt Lermer. Von manchen HSV-Fans erhielt sie so die Rolle des Sündenbocks, einige Werder- Anhänger verehren sie dagegen als Kultobjekt. So stellen die Grün- Weißen auf der Internetseite WikiWorum – in Anlehnung an das Online- Lexikon Wikipedia – die Papierkugel als einen deutschen Fußballspieler vor, der zum Europapokal-Helden aufstieg. Beim Internet-Kurznachrichtendient Twitter hat die «Papierkugel» mehr als 370 Anhänger, beim Netzwerk Facebook gründete sich eine Fan-Gruppe.

Mit witzigen Sprüchen kommentieren Internetnutzer Videos der irren Szene auf der Plattform YouTube: «Das Papier stand doch im Abseits», schreibt ein Fußball-Fan. Und ein anderer scherzt: «Warum hat die Papierkugel eigentlich keine Gelbe Karte bekommen? Ach ne, sie hat ja nur den Ball gespielt.»

Zwölf Tage nach dem Halbfinale laufen beim Internet-Auktionshaus Ebay mehr als 30 Versteigerungen rund um das Corpus Delicti. Darunter sind Nachbildungen, die in den Vereinsfarben grün-weiß oder blau-weiß umhäkelt sind, grüne T-Shirts mit der Aufschrift «Mein Freund ist eine Papierkugel» oder Buttons mit «I love Papierkugeln» sowie «Die Papierkugel war schuld».

«Das ist eine kreative Leistung», erklärt Lermer, der das Münchner Institut für Persönlichkeit und Kommunikation leitet. Wenn einer eine freche Geste wage, gebe es immer Trittbrettfahrer. «Wenn man mit nichts Geld machen kann, macht es immer Spaß. Das ist aber mehr ein Gag, den man abends erzählen kann», sagt der Psychologe.

Die Trittbrettfahrer-Auktionen laufen ohne Erfolg. Mehr als 2400 Euro betrug Höchstgebot für das Original hingegen bereits am 19. Mai, das bei Ebay vom Fernsehsender Sat.1, der Zeitschrift «Sport-Bild» und dem Bundesligisten Werder Bremen zugunsten des Kinderhospizes Löwenherz in Syke bei Bremen versteigert wird. Bei Sat.1 heißt es, für eine simple Papierkugel sei die Summe «Wahnsinn».

Quelle: dpa, 19.05.2009 / © 2009 Financial Times Deutschland, © Illustration: dpa