„Ordnung im Chaos“ – Unser Verlangen nach Struktur beeinflusst unsere Entscheidungen

Teil 2 – Aberglaube und Verschwörungstheorien
In unserem Beitrag vom 18.6.09 berichteten wir über die Experimente von Jennifer Whitson und Adam Galinsky. Sie zeigten: Kontrollverlust führt dazu, dass sich Menschen verstärkt darum bemühen, wieder Ordnung in ihrer Umwelt zu schaffen. Mit kuriosen Folgen: Sie erkennen dann dort Muster, wo eigentlich der Zufall regiert. Zum Beispiel bei fiktiven Börsenschwankungen.

Welche Blüten kann der Kontrollverlust noch treiben? Whitson und Galinsky untersuchten zunächst, welche Auswirkungen mangelnde Kontrolle auf die Entstehung von Aberglaube hat. Generell entsteht Aberglaube, wenn auffällig oft Dinge gleichzeitig passieren, die eigentlich nichts miteinander zu tun oder eine zunächst unbekannte gemeinsame Ursache haben. Beispiel: Ein Tennisspieler bemerkt, dass er häufiger ein Spiel gewinnt, wenn er seine Trinkflasche an einen bestimmten Platz stellt. Folge: Er wird sich darum bemühen, bei den nächsten Spielen die Flasche genau so hinzustellen. Die wahre Ursache, warum er mit diesem Trick häufiger gewinnt ist natürlich, dass seine subjektive Überzeugung zu gewinnen steigt. Und damit Selbstvertrauen und Siegeswille – wichtige psychologische Faktoren.

Whitson und Galinsky nahmen folgerichtig an, dass Aberglaube aus mangelnder Kontrollüberzeugung entsteht: Können wir selbst die Dinge nur schwer beeinflussen, weil andere Personen mitspielen oder die Konjunktur oder schlicht der Zufall, versuchen wir ganz einfach, irgendeine Ursache für die Phänomene in unserer Umwelt zu finden. Damit wir wenigstens die Chance bekommen, Prognosen abzugeben. Und tatsächlich zeigte sich im Experiment: Diejenigen, denen die Kontrolle über ihre Aufgaben abhanden gekommen war, entwickelten eher abergläubische Vorstellungen.

In einer weiteren interessanten Variation erzählten die Wissenschaftler ihren Versuchspersonen eine Geschichte, in der Mitarbeiter einer fiktiven Hauptperson zweideutige Bemerkungen über deren Karriereentwicklung machten. Wieder glaubten die Versuchspersonen, die unter Kontrollverlust litten eher daran, dass sich die Mitarbeiter gegen die Hauptperson verschworen hatten, um deren Karriere einzubremsen. Das Gefühl mangelnder Kontrolle zieht also viele negative Erlebens- und Verhaltensweisen in den verschiedensten Bereichen nach sich.

Bis hierhin können die Experimente von Whitson und Galinsky also bestenfalls als Warnung dienen. Aber die Forscher machten noch einen letzten Schritt. Lesen Sie nächste Woche, wie man die negativen Folgen von mangelndem Kontrollgefühl vermeiden kann.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer


‚Project Implicit‘ – Die Tür zum Unbewussten

Forschung zum Anfassen: Seit über 10 Jahren betreiben amerikanische Forscher nun das ‚Project Implicit‘. Ziel des Forschungsprogramms ist es, einen wissenschaftlichen Zugang zum Unbewussten zu finden – und damit Stereotype zu erheben, Einstellungen zu messen und letztlich unser Verhalten zu erklären, das uns zuweilen immer wieder vor Rätsel stellt.

Denn oft können wir selbst nicht erklären, warum wir wann was getan haben. Wenige unserer Handlungen nehmen wir wirklich bewusst vor und viele unserer Einstellungen und Vorurteile sind implizit. Das heißt: Latent vorhanden, dem Bewusstsein nicht zugänglich, automatisiert. Oft wollen wir uns Gedanken auch nicht eingestehen. Oder wir wollen sie nicht äußern, weil wir negative Konsequenzen befürchten. Wie sieht es mit Ihrer Einstellung gegenüber anderen Religionen aus? Sind alle Menschen gleich? Sollten alle gleich behandelt werden? Ist die Todesstrafe gerecht oder unmenschlich? Was denken Sie wirklich?

Seit einigen Jahren nun existiert ein vielversprechender psychologischer Test, mit dem solche impliziten Einstellungen gemessen werden können: Der IAT (Implicit Association Test). Im Rahmen des Project Implicit wird er online angeboten. Jeder kann diesen Test machen, um (völlig anonym!) seine Einstellungen zu messen.

An der letzten veröffentlichten Studie, die mit Hilfe des Online-IAT durchgeführt wurde, beteiligten sich über 500.000 Menschen in 34 Ländern. Sie trugen damit nicht nur zur wissenschaftlichen Erkenntnis bei, sondern auch zu ihrer eigenen.

In der Studie wurde die Einstellung zu ‚Frauen und Mathematik‘ bzw. ‚Frauen und Wissenschaft‘ untersucht. 70% der Versuchsteilnehmer hatten dem Test zu Folge implizite Vorurteile gegenüber diesen Verbindungen. Brian Nosek, Leiter der Studie fasst zusammen: „Wir fanden die starke Tendenz […], dass die Teilnehmer sich im Durchschnitt leichter damit tun, die Konzepte Wissenschaft und Mathematik mit Männern zu assoziieren als mit Frauen.“ Übrigens: In jedem der 34 Länder!

So weit, so gut. Noch interessanter wurde das Ergebnis, als die Forscher die Daten des IAT mit der realen Leistung von Schülern in Mathe und Naturwissenschaften verglichen: In den Ländern, in denen es die größten Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen gab, waren auch die impliziten Vorurteile am größten! Ein klarer Hinweis darauf, dass Vorurteile in der Tat zum Geschlechterunterschied beitragen.

Auf der deutschen Website des Project Implicit können Sie selbst Demo-Tests machen, deren Ergebnisse nur Sie erfahren. Beispiele: Bevorzugen Sie dick oder dünn? Deutschland oder die USA? Männer oder Frauen? Wessis oder Ossis?

Wissenschaftliche Psychologie zum Anfassen. Probieren Sie es selbst aus. Auf Ihre Gefahr. Denn die Testautoren warnen: Die Ergebnisse könnten zu unliebsamen Ergebnissen führen.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

„Ordnung im Chaos“ – Unser Verlangen nach Struktur beeinflusst unsere Entscheidungen

Teil 1 – z.B. bei Wertpapieren

Haben Sie sich jemals gefragt, wie Aberglaube entsteht? Oder wie Verschwörungstheorien entstehen? Oder warum Börsenkurse sich manchmal völlig irrational verhalten?

Wir Menschen versuchen ständig, Ordnung in das Chaos dieser Welt zu bringen. Damit wir sie verstehen können, damit wir unser Verhalten an äußere Bedingungen anpassen können, damit wir Gefahren vorhersagen können. Unser Bedürfnis nach Ordnung geht sogar so weit, dass wir, wenn uns objektive Fakten fehlen, die Sterne um Rat fragen – eigentlich sinnlos, aber es gibt uns ein gutes Gefühl. Ein Gefühl der Kontrolle.

Und wann brauchen wir dieses Gefühl am meisten? Richtig. Wenn wir die Kontrolle verloren haben. Das heißt, wenn wir das Gefühl haben, dass wir fremdgesteuert werden, dass nichts, was wir tun, auch nur irgendetwas ändert und alles eigendynamisch in eine zufällige Richtung steuert. Welche phänomenalen Auswirkungen Kontrollverlust auf unser Ordnungsbedürfnis haben kann wurde jetzt wissenschaftlich untersucht.
Aber machen wir zunächst einen kleinen Test. Was erkennen Sie?

Nichts? Gut so. Die Punkte sind nämlich chaotisch verteilt. Lässt man seiner Fantasie eine Zeit lang freien Lauf, so erkennt man mit der Zeit sicher das ein oder andere Muster. Das ist normal und kann sogar Spaß machen.

Jennifer Whitson und Adam Galinsky von der Universität in Austin (Texas) hatten eine andere Hypothese: Je geringer unser Kontrollgefühl, desto verzweifelter versucht unser Gehirn, Ordnung in die Welt zu bringen. Deshalb sollten Menschen, denen während ihrer Experimente das Gefühl von Kontrollverlust vermittelt worden war*, schneller irgendwelche Dinge, Bilder oder Muster in ihren chaotischen Punktwolken erkennen als in einem entspannten Zustand. Das zeigte sich auch.

Doch Whitson und Galinsky gingen noch einen Schritt weiter. Und hier wird das Experiment interessant: Sie lieferten ihren Probanden zufällig ausgewählte Statements über Börsenkurse. Diejenigen Versuchsteilnehmer, die über ein geringeres Kontrollgefühl verfügten, sahen in den zufälligen Statements eher Zusammenhänge und Trends als die anderen Versuchsteilnehmer. Sie waren auch eher zu Entscheidungen über Kauf und Verkauf bereit.

Gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise könnten Gefühle von Kontrollverlust eine wichtige Rolle spielen. Jennifer Whitson: ‚Das wachsende Gefühl von Kontrollverlust bei Börsenhändlern und Investoren hat das Chaos nur noch verstärkt. Menschen reagieren in solchen Situationen besonders irrational und machen selbst wichtige Entscheidungen etwa von ihrem Horoskop und kleinen Ritualen abhängig.‘

Lesen Sie nächste Woche, wie mangelndes Kontrollgefühl die Entstehung von Aberglauben begünstigt und wie wir unsere Entscheidungen verbessern können, indem wir unser Kontrollgefühl wiederherstellen.

*ein geringes Kontrollgefühl kann ausgelöst werden, indem man den Versuchspersonen zuvor unlösbare Logik-Aufgaben gibt oder sie einfach ihre Erfahrungen in unkontrollierbaren Situationen erinnern lässt.

gepostet i. A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Whitson, J. & Galinsky, A (2008). Lacking control increases illusory pattern perception. Science, 322, pp.115-117

Tun oder Nichttun? – Was bereuen wir mehr?

In jeder Entscheidungssituation besteht die Möglichkeit, dass wir uns falsch entscheiden.
Gerade bei Entscheidungen unter Unsicherheit kommt es dabei häufig vor, dass wir uns von unserem ‚Bauchgefühl‘ leiten lassen. Wichtig für unser Bauchgefühl ist vor allem, wie es sich anfühlt, wenn etwas schief gehen würde: ‚Antizipiertes Bedauern‘ einer Entscheidung.

Oft genug entscheiden wir uns deshalb gegen eine Alternative: Weil wir uns die Folgen möglicher Weise so weitreichend und schlimm vorstellen, dass wir uns schlicht ’nicht trauen‘.

Ein Beispiel: Wenn ich Anna frage, ob sie mit mir ausgeht, sagt sie vielleicht ’nein‘. Sie könnte meine Avancen gemeinsamen Bekannten erzählen. Das wäre mir peinlich. Ich glaube, das würde ich lange bereuen. Ich frage sie besser nicht…
Ein anderes Beispiel: Die Investition in Papiere der HeadStart AG ist mit erheblichen Risiken und Unsicherheit verbunden. Das Geschäftsmodell ist allerdings innovativ und vielversprechend. Wenn ich jetzt kaufe, werde ich aber schlimmsten Falls sogar auf den Skiurlaub verzichten müssen. Was werden meine Frau und meine Kinder dazu sagen? Ich lasse es lieber, die Investition würde ich bereuen…

Antizipiertes Bedauern hat also eine zentrale Bedeutung für unsere Entscheidungen. Aber ist es auch angebracht? Was würde uns letztendlich mehr reuen? Etwas getan zu haben oder etwas unterlassen zu haben?

Fragt man die Menschen einige Zeit nach ihren Entscheidungen, was sie mehr bereuen, bekommt man einen interessanten zeitlichen Zusammenhang:

Kurzfristig bedauern wir falsche Entscheidungen für Taten mehr als Entscheidungen gegen bestimmte Handlungen. Haben wir etwas falsch gemacht, werden wir eben in der Regel unmittelbar mit den negativen Konsequenzen unserer Handlungen konfrontiert. Und genau das erwarten wir ja auch vorher beim ‚Antizipierten Bedauern‘.

Allerdings: Wenn Personen längerfristig auf ihr Leben zurückblicken, dann bereuen sie in der Regel Dinge, die sie nicht getan haben. Das berühmte „Ach, hätte ich doch…“ oder „Wenn ich nur damals…“ kennt sicher jeder. Mit der Zeit bereuen wir also Entscheidungen gegen Taten mehr.

Warum? Weil die möglichen Konsequenzen von Dingen, die wir nicht getan haben , unendlich sind. Es gibt immer neue Ereignisse im Leben, die anders hätten verlaufen können, wenn wir uns damals für X entschieden hätten. Das Bereuen von Nicht-Handlungen betrifft uns also für längere Zeit. Dafür ist es aber nicht so intensiv, wie das kurzfristige Bereuen von Handlungen, deren Konsequenzen wir erleiden müssen.

Das Leben ist Entscheiden. Wer sich in bestimmten Situationen nicht von objektiven Fakten leiten lassen kann, entscheidet oft aus dem Bauch heraus. Und zu oft dagegen. Weil die unmittelbaren Folgen oft mehr beachtet werden als die langfristigen. Oft genug kann man aber das Experiment wagen: Auch einmal über unmittelbare Risiken hinausblicken. Die Chancen sehen. Visionen entwickeln. Den Wert von Veränderung erfahren.

Und die langfristigen Folgen riskieren, die beim Unterlassen von bestimmten Handlungen auftreten könnten – ihnen denselben Raum lassen, wie den kurzfristigen Folgen unserer Entscheidungen.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Wenn Verbote und Richtlinien nach hinten losgehen – Die Macht negativen sozialen Einflusses

Eine alarmierende Nachricht auf Ihrem Schreibtisch: Die Präsenz der Mitarbeiter bei Meetings ist in den letzten Wochen zurückgegangen. Im Schnitt fehlten 7% der Mitarbeiter bei wichtigen Meetings – aus nichtigen Gründen! Innerlich kochen Sie.

Sie beschließen, den Mitarbeitern sachlich anzukündigen, dass viele Kollegen in der letzten Zeit ihre Teilnahme an Meetings absagten und dass der Zustand so nicht tragbar sei. Was passiert nun in der Folge?

Mehr Mitarbeiter werden fernbleiben!

Das Phänomen heißt ‚Negative Soziale Bewährtheit‘ und beschreibt das Verhalten von Menschen, sich in Entscheidungssituationen (zum Meeting gehen oder nicht) an den Ansichten und dem Verhalten anderer Menschen zu orientieren. Würden Sie also publik machen, dass viele Kollegen den Meetings fernbleiben, werden mehr folgen, weil sie sich unbewusst an Ihrer Aussage orientieren: ‚Na, wenn so viele wegbleiben, kann ich mir das auch einmal leisten – nur einmal.‘

So kontraintuitiv das Phänomen scheint – es ist universell und gut belegt. Beispielsweise entstehen wie von selbst Müllberge in Parks, wenn zufällig jemand Müll an einer Stelle zurück gelassen hat. Schema: ‚Aha, da liegt schon etwas – da kann ich meins dazuwerfen.‘ Und schon türmen sich die Bananenschalen.

In der ‚Petrified Forest Studie‘ zeigte Prof. Robert Cialdini, wie man es richtig machen kann – und wie man es falsch macht: Er brachte an den drei Eingängen des Nationalparks verschiedene Schilder an, die zum Ziel haben sollten, die durch die Touristen verursachte ‚Abwanderung‘ von Hölzern zu verringern. Auf Schild 1 stand: „Many past visitors have removed the petrified wood from the park, changing the natural state of the forest!“ – das Negative-Soziale-Bewährtheit-Schild. Schild 2 zeigte eine Person, die Holz stiehlt mit einem roten Kreis um das Bild und der Aufschrift „Please don´t remove the petrified wood from the park, in order to preserve the natural state of the forest!“ – eine ganz einfache Bitte. Am dritten Eingang wurde kein Schild aufgestellt. Um den Holzdiebstahl zu überprüfen, brachten die Untersucher markierte Hölzer an verschiedenen Stücken des Wegs an.

Das Ergebnis: Ohne Hinweisschild wurden 2,92% der Hölzer gestohlen. Mit der Bitte, dies zu unterlassen, sank die Quote immerhin auf 1,67%. Und beim Hinweis darauf, dass die Vielzahl von Holzdieben den natürlichen Zustand des Parks verunstalte? – Satte 7,92% der ausgelegten Hölzer wurden entwendet – die Quote stieg also beinahe um das 3fache an!

Was sollte man also tun? Formulieren Sie Bitten und Verbote klar und positiv. Und weisen Sie auf keinen Fall auf all diejenigen hin, die das unerwünschte Verhalten vorleben – sie werden Nachahmer finden. Und leere Räume.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Cialdini, R. et al. (2006). Managing social norms for persuasive impact. Social Influence, 2006, 1 (1), 3-15

Psychologische Begriffe: Reaktanz

Lesen Sie jetzt bitte nicht weiter. Sie werden manipuliert.

Schon geschehen.

Wir haben es Ihnen ja gesagt… Falls Sie sich jetzt auch nur leicht verärgert fühlen, bitten wir Sie um Entschuldigung. Selbstverständlich haben Sie – nur Sie allein! – die Freiheit, diesen Beitrag zu lesen oder es zu unterlassen.


Mit dem ersten Satz sollten wir in Ihnen ‚Reaktanz‘ ausgelöst haben, wenn auch nur zu einem geringen Grad. Sie hatten sich soeben die Freiheit genommen, den Beitrag zu lesen und nun schränkt Sie jemand von vorneherein in dieser Freiheit ein, indem er Sie darauf hinweist, das doch bitte bleiben zu lassen. Die logische Folge: Sie werden noch motivierter sein, den Beitrag zu lesen, weil ES DOCH IHRE ENTSCHEIDUNG IST, UND SIE JETZT MACHEN, WAS SIE WOLLEN!!!

Nun ja…. Bereits 1966 formulierte Jack W. Brehm seine ‚Reaktanztheorie‘, die eine der einflussreichsten Theorien der Sozialpsychologie werden sollte und bis heute Ihren Geltungsbereich, zum Beispiel in der Markt- und Werbepsychologie oder der Verkaufspsychologie hat.

Die Grundaussage der Theorie ist ganz einfach: Der Mensch ist motiviert, seine Freiheit zu erhalten.‘

Wird diese Freiheit bedroht oder genommen entsteht Reaktanzmotivation – eben der Drang zur Freiheitswiederherstellung. Die Reaktanzfolgen können vielfältig sein:

In beinahe allen Fällen wird zum Beispiel die verbotene Tätigkeit oder Alternative attraktiver. Ein schönes Beispiel ist der sogenannte „Romeo-und-Julia-Effekt“: Die Intervention der Eltern (‚Was willst du denn mit DEM?‘) macht den Geliebten nur noch attraktiver (Der Reiz des Verbotenen).

Eine weitere Reaktanzfolge ist unmittelbare direkte oder indirekte Freiheitswiederherstellung. Direkte Freiheitswiederherstellung haben Sie gerade betrieben, indem Sie den Artikel trotz oder gerade wegen unserer Bitte weiter gelesen haben. Bereits im Kindergartenalter kann man direkte Freiheitswiederherstellung beobachten, wenn plötzlich aus einem Set von verschiedenfarbigen Autos das gelbe Fahrzeug an Attraktivität gewinnt, bloß weil Michi es sich zuerst geschnappt hat. Die Folge: Tommy fühlt sich in seiner Freiheit eingeschränkt, lässt alle anderen gleichwertigen Autos links liegen und überfällt Michi, um ihm das Auto zu entwenden. Das gelingt und nun ist natürlich Michis Freiheit eingeschränkt. Der Konflikt eskaliert.

Womit wir bei der letzten Reaktanzfolge sind: Der Aggression. Vielleicht haben Sie sich ein klein wenig über unseren Manipulationsversuch am Anfang des Beitrags geärgert. Selbst wenn diese geringe Reaktanzmanipulation keine Aggression hervorgerufen hat, kann man sich leicht vorstellen, dass Freiheitseinschränkungen zu Wut und Enttäuschung führen. So provoziert bei den G8-Gipfeln allein schon das ‚Aussperren‘ der Demonstranten Aggression. Und Pannen bei der Übertragung von Fussballspielen führen mit großer Wahrscheinlichkeit zu Wutausbrüchen.

Im Alltag erliegen wir sehr oft den Reaktanzfolgen. Eine Ware zu kaufen, weil es ’nur noch wenige Exemplare‘ davon gibt oder unverhältnismäßige Zugeständnisse bei Vertragsverhandlungen zu machen, nur ‚weil die Zeit drängt‘ (und nach Ablauf des Ultimatums keine Freiheit mehr bestünde) sind besonders auffällige Reaktanzsituationen. Aber schon kleine Dinge, wie die Entscheidung für den Film des Abends oder eben das Spielzeugauto können Reaktanzproblematiken auslösen.

Reaktanz ist oft nur schwer zu erkennen. Aller Anfang ist dabei eine verbesserte Selbsterkenntnis: Bewusstes Nachdenken über die Situation und die eigenen Gefühle, bevor man eine falsche oder übertriebene Entscheidung aus Reaktanz fällt.

Auch Reaktanz bei anderen nachträglich wieder zu reduzieren ist sehr schwer, wenn die Reaktanzmotivation einmal besteht: Die Freiheit muss völlig wiederhergestellt werden, und alle Alternativen müssen wie zu Beginn frei zugänglich sein! Mit dem dritten Absatz haben wir das bei Ihnen versucht. Ergründen Sie Ihre Gefühle: Fühlten Sie sich wirklich frei? Falls ja: Vielen Dank, dass Sie den Beitrag trotzdem bis zum Ende gelesen haben 😉

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer