Think Twice – Der Halo-Effekt

Politiker, Manager, Spitzensportler, Filmstars – sie alle nutzen den Halo-Effekt bis zum Äußersten aus. Bis sie uns ungewollt das Gegenteil beweisen. Und egal wie hoch man in der gesellschaftlichen Hierarchie aufgestiegen sein mag oder wie intellektuell-rational man denken mag – man unterliegt doch täglich dem wohl auffälligsten aller Wahrnehmungsfehler.

1974 designte der damals weltberühmte Psychologe Richard Nisbett eine Serie von Experimenten, mit denen er wissenschaftlich belegen konnte, was 1920 schon Edward Lee Thorndike vermutet hatte: Bei der Beurteilung unserer Mitmenschen greifen wir uns – oft unbewusst, aber systematisch – eine Eigenschaft oder einen allgemeinen Eindruck heraus. Diese von uns gewählte Eigenschaft ‚überstrahlt‘ dann andere Eigenschaften der Beurteilten und führt unmittelbar zu einem Gesamturteil über eine Person. Alle anderen Eigenschaften werden sozusagen ‚im Lichte‘ der von uns gewählten zentralen Eigenschaft bewertet. Faszinierend dabei: Obwohl sich die meisten Menschen auch ohne explizites psychologisches Hintergrundwissen dieses Effekts bewusst sind, können sie sich nur sehr schwer dagegen wehren. Die berühmte ‚rosarote Brille‘ im Zustand der Verliebtheit ist ein Beispiel dafür: Wer gut aussieht, wird oft auch als liebevoller, charmanter und verständnisvoller angesehen – Eigenschaften, die völlig unabhängig voneinander sind.

Richard Nisbett zeigte nun, wie verblüffend stark der Halo-Effekt ist. In seinen Experimenten teilte er Versuchspersonen in zwei Gruppen ein. Beiden Gruppen zeigte er ein fiktives Bewerbungsvideo eines neuen Professors (unter anderem mit belgischem Akzent -das ist relevant!). Die Studenten sollten mit Hilfe eines Evaluationsbogens den neuen Dozenten nach verschiedenen Gesichtspunkten beurteilen – Unter anderem Aussehen, Akzent und Verhalten. Der Clou dabei: Beide Gruppen sahen dieselbe Person, die dem Interviewer dieselben Antworten gab und sich gleich verhielt. Mit einem einzigen Unterschied: in der einen Bedingung gab der Dozent die Antworten in einer warmherzigen Art, im anderen Video wirkte er kalt und distanziert. Diese Eigenschaft wurde allerdings im Beurteilungsbogen nicht direkt berücksichtigt.

Das erste Ergebnis bestätigte den Halo-Effekt: Der ‚warmherzige‘ Dozent wurde in allen Punkten (selbst bei der Beurteilung des Akzents!) besser eingeschätzt als sein distanziertes Alter Ego. Doch das zweite Ergebnis war noch beeindruckender: Nach der Studie wurden alle Studenten darüber informiert, dass ihre Beurteilung der Eigenschaften des Dozenten wahrscheinlich von der zentralen Eigenschaft warmherzig vs. distanziert abhängt.

Die Studenten wurden danach einzeln befragt, ob das bei ihnen der Fall gewesen wäre. ‚Nein, nicht bei mir! Ich habe mich nicht beeinflussen lassen!‘ war die beinahe einhellige Meinung. Alle waren zudem davon überzeugt, dass sie die globale Einschätzung des Dozenten nicht von der zentralen Eigenschaft abhängig gemacht hatten, sondern ausschließlich von den Kriterien, die im Beurteilungsbogen aufgeführt waren.

Woher kam dann aber die bessere Beurteilung für den warmherzigen Dozenten? Besonders bei der Leistungsbeurteilung stellt der Halo-Effekt eine zentrale Fehlerquelle dar. Aber auch im Alltag lohnt es sich für jeden von uns, ab und zu noch einmal genauer hinzuschauen, bevor wir jemanden beurteilen.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Der Soundtrack des Gehirns

Warum Menschen eigentlich Musik mögen, ist eines der großen Rätsel der evolutionären Psychologie. Viel spannender als die Frage nach dem Warum? ist aber eigentlich die Frage: Wozu?

Beinahe jeder Mensch liebt Musik. Welche Art von Musik wir wann mögen, hängt dabei wesentlich von unserer Stimmung ab. Andererseits ist es auch erwiesen, dass Musik Stimmungen induzieren kann: Bei ruhiger Musik entspannen wir, bei einem Allegro werden wir aktiv. Mittels EEG (Elektroenzephalogramm), mit dem Gehirnströme quasi in ‚Echtzeit‘ gemessen werden, kann man seit einigen Jahren diese stimmungsinduzierende Wirkung auch neurophysiologisch nachweisen: Die Wellenmuster des Gehirns verändern sich unter dem Einfluss von Musik!

Wissenschaftler vom Science & Technology Directorate des US-Department of Homeland Security gehen nun noch einen Schritt weiter und behaupten: ‚Jedes Gehirn hat seinen eigenen Soundtrack.‘ Tempo und Melodie variieren dabei in Abhängigkeit der Stimmung, der Tätigkeit und dem Aufbau des Gehirns selbst.

Das Erstaunliche: Diesen Soundtrack kann man in bestimmten Stimmungen aufzeichnen, in musikalische Signale übersetzen und wieder abspielen, um damit wiederum die gleichen Stimmungen zu induzieren: Das entstandene Biofeedback könnte zum Beispiel in naher Zukunft bei der Therapie von depressiven Erkrankungen genutzt werden. Oder man könnte den optimalen ‚Alarm-Soundtrack‘ eines Feuerwehrmannes aufnehmen und ihn in entsprechenden Krisensituationen wieder abspielen (falls er ihn dann noch braucht).

Darüber hinaus hat jedes Gehirn einen Ruhe-Track, der bei völliger Entspannung entsteht und laut den Wissenschaftlern zur Entspannungsinduktion genutzt werden kann.

Ein Beispiel für eine solche „Gehirnkomposition“ finden Sie unter folgendem Link:

Hörprobe Brainmusic Active

Der große Nutzen von Musik scheint also tatsächlich darin zu bestehen, uns in Stimmungen und Zustände zu versetzen, die optimales Verhalten bewirken. Evolutionäre Psychologen vermuten, dass sich die Liebe zur Musik gleichzeitig mit der Sprache entwickelte, weil beide in etwa dieselben Hirnregionen beanspruchen.

So gesehen wäre die Evolution der Musik ein Nebenprodukt der für die menschliche Spezies so wichtigen Sprachentwicklung. Womit auch die Frage nach der schönsten Nebensache der Welt endgültig geklärt wäre.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: http://hsdailywire.com/single.php?id=7859

Psychologische Begriffe: Ihre Erklärung, ihr Nutzen für Sie

„Da fehlt doch noch etwas…!“ – DER ZEIGARNIK-EFFEKT


Der Kreis „drängt“ zur Abgeschlossenheit. Fast zwangsläufig fällt unser Blick auf die Lücke. Innerlich versuchen wir, „den Kreis zu schließen“ – uns vorzustellen, wie er wohl vollständig aussieht. Ein ganz normales psychologisches Phänomen. Mit großen Auswirkungen.

Die russische Psychologin Bljuma Wulfowna Zeigarnik untersuchte bereits 1927 die Nachwirkungen von unabgeschlossenen Handlungen. Ihr folgenreichstes Ergebnis: Unabgeschlossene Handlungen werden besser erinnert als abgeschlossene Handlungen!

In ihren Experimenten gab sie ihren Versuchspersonen viele kleine Aufgaben. Dann unterbrach sie die Hälfte ihrer Versuchspersonen bei der Erledigung der Aufgaben. Die andere Hälfte durfte die Aufgaben abschließen. Nach einiger Zeit befragte sie beide Gruppen, an wie viele Aufgaben sie sich jeweils erinnerten. Und obwohl sie sich für kürzere Zeit mit den Aufgaben beschäftigt hatten, erinnerten sich diejenigen weitaus besser, die die Aufgaben nicht abgeschlossen hatten!

Damit wurde experimentell gezeigt, was Sigmund Freud schon 1901 intuitiv behauptet hatte: Unerfüllte Wünsche und nicht realisierte Handlungen bleiben mit Macht im Gedächtnis zurück. Sie melden sich, stärker noch als unsere abgeschlossenen Erlebnisse, zurück. Sei es im Traum, bei freien Assoziationen oder bei den sogenannten ‚Freud´schen Versprechern‘. Kurz: Sie beschäftigen uns weiter.

Zeigarnik erklärte diesen Effekt mit der Feldtheorie Kurt Lewins, die damals sehr populär war (und wesentlich wissenschaftlicher als Freud) und heute wieder eine Renaissance erlebt. In ihr wird menschliches Verhalten als das Produkt von wechselseitigen Beziehungen zwischen Mensch und Umwelt beschrieben.

Auf Grund dieser sich ständig ändernden Beziehungen ist menschliches Verhalten dynamisch. Es existieren zu jedem Zeitpunkt Spannungen zwischen verschiedenen Person- und Umweltbereichen, die uns zu Handlungen oder Gedanken verleiten. Diese Spannungen aüßern sich uns als Bedürfnisse.

Der von Bljuma Wulfowna Zeigarnik entdeckte Zusammenhang zwischen Bedürfnissen, unabgeschlossenen Handlungen und der Macht der Erinnerung ist als „Zeigarnik-Effekt“ bekannt geworden.

Wir unterliegen diesem Effekt täglich, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Auch ein Grund dafür, dass wir uns ab und zu Zeit nehmen sollten, uns unserer Bedürfnisse und Wünsche bewusst zu werden. Was beschäftigt Sie? Was sind Ihre unabgeschlossenen Handlungen? Wie sieht Ihre persönliche Bedürfnispalette aus?

Was können Sie tun?


gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Unsere unterbewusste Alarmanlage

Schon bevor ein Pianist einen Fehler macht, bemerkt sein Gehirn, dass etwas schief läuft und versucht den Fehler zu korrigieren. Übersinnlich? Nein, eher „unterbewusst“.

Forscher des Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften wollten herausfinden, zu welchem Zeitpunkt bei der Handlungsplanung vom Gehirn Fehler entdeckt werden. Mit einem erstaunlichen Ergebnis: Die Fehler werden bereits vor der Ausführung entdeckt.

Sie schlossen für ihre Untersuchung Klavierspieler an ein EEG-Geraät an. Mit Hilfe von EEG können auf der Kopfoberfläche Spannungsschwankungen erfasst werden, die neuronale Aktivität in bestimmten Hirnregionen widerspiegeln. Durch die gute zeitliche Auflösung des Verfahrens kann man dem Gehirn praktisch wie bei einem Livestream „online“ beim Arbeiten zusehen.

Während die Klavierspieler Tonleitern übten, zeichneten die Wissenschaftler ihre Gehirnaktivität auf. Bis zu 100 Millisekunden, bevor die Pianisten einen Fehler machten, änderten sich dabei die Muster in bestimmten Hirnregionen, vermutlich solchen, die für motorische Handlungsplanung oder Gedächtnis zuständig sind.

Die Untersuchung verdeutlicht ein Prinzip, das sich über viele Situationen und Handlungen erstreckt: Die meisten unserer Aktionen und Reaktionen laufen zunächst unbewusst ab, erst danach werden sie bewusst überdacht und können eventuell auch bewusst verhindert werden. Die Forscher sprechen dabei von „Verhaltensinhibition“. Ein weiteres Beispiel ist eine Schlange am Wegrand. Wir zucken zurück, bevor wir die Schlange bewusst wahrnehmen! Ist es auf den zweiten Blick eine Gummischlange (diese Einordnung setzt komplizierte Kategorisierungsprozesse unseres Gehirns voraus), können wir uns wieder nähern. Unser ängstliches Verhalten wird damit bewusst ‚inhibiert‘.

Auch in sozialer Interaktion und Kommunikation sind wir uns unserer Fehler oft nicht bewusst, spüren aber ‚intuitiv‘, dass etwas nicht passt. Diese Intuition kann nachträglich bewusst überprüft werden – sofern man die Gesetze interpersoneller Kommunikation kennt.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Maidhof C, Rieger M, Prinz W, Koelsch S (2009) Nobody Is Perfect: ERP Effects Prior to Performance Errors in Musicians Indicate Fast Monitoring Processes. PLoS ONE 4(4): e5032. doi:10.1371/journal.pone.0005032

Angst kommt vor Zuneigung – zumindest zeitlich gesehen

Innerhalb von Millisekunden erkennen Sie die Gefahr.

Sie wollen vom Bürgersteig über die Straße auf die andere Seite. Dafür müssen Sie zunächst über den Radweg. Sie unterhalten sich angeregt mit Ihrer Begleiterin und blicken dabei in ihr Gesicht. Obwohl Sie den Radweg kurz vorher auf Radfahrer gecheckt haben, schrecken Sie plötzlich zurück. Keine Sekunde später bemerken Sie den erschrockenen Gesichtsausdruck Ihrer Begleiterin und im gleichen Moment fährt etwas ganz nahe an Ihnen vorbei (und beschimpft Sie vermutlich). Wo kam der her? Gut reagiert.

Wir bemerken Anzeichen von Gefahr im Gesicht unseres Gegenübers, bevor uns diese bewusst werden – und zwar in weniger als 40 Millisekunden. Diese Schnelligkeit der Verarbeitung von negativer Mimik und Gestik verschafft uns vermutlich einen evolutionären Vorteil: Auf Bedrohungen kann sofort und „intuitiv“, also ohne Einschalten des Bewusstseins reagiert werden. Die Amygdala, eine Hirnregion, die auf das Erkennen negativer Emotionen spezialisiert ist, leitet Sinneswahrnehmungen quasi gleichzeitig an unsere Beine und die bewusstseinszugänglichen Gehirnregionen des Kortex weiter, die erst dann anschließend eine (vergleichsweise langwierige) Bewertung der Gefahrensituation vornehmen.

Man kann auch sagen: Wir sind quasi evolutionär darauf programmiert, primär negative Emotionen erkennen und schnell verarbeiten zu wollen, weil sie überlebensrelevant sein könnten. Angst wird deutlich schneller verarbeitet als Freude, Zorn wird schneller in Handlungen umgesetzt als Zuneigung. In gleicher Weise ist auch unsere Aufmerksamkeit darauf genetisch programmiert, Zeichen für Unmut, Trauer, Gefahr und schlechte Stimmung aus der Umwelt herauszuschälen. Menschen nutzen das unbewußt teilweise sogar gezielt aus, indem sie sich durch Jammern oder Lärm die Aufmerksamkeit anderer sichern. Und, negative Gefühle sind ansteckend: In einer gespannten Atmosphäre ist man „unwillkürlich“ auch angespannter. Jemand, der ständig jammert, „zieht uns runter“, obwohl wir vielleicht in guter Stimmung waren. Wenn wir es zulassen.

i.A. Dr. Stephan Lermer

Quelle: Yang, E. (2008). Fearful expressions gain preferential access to awareness during continous flash suppression. Emotion, 7 (4), pp. 682-686

Obama jetzt sogar mit Heiligenschein – Zur Macht unbewusst aufgenommener Information

Erinnern wir uns an den beeindruckenden Inhalt des Blog-Eintrags vom 19.03.09. Dort ging es darum, wie sehr darum, wie sehr Geschwindigkeit und Informationsfülle unsere bewusste und unbewusste Verarbeitung von Information bestimmen. Von den 11 Millionen bits unbewusst aufgenommener Information pro Sekunde verarbeiten wir lediglich 40 bits pro Sekunde bewusst. Der Rest wird sofort ausgesteuert oder unbewusst verarbeitet und gespeichert.

Vieles, was um uns herum passiert, fällt demnach zunächst unserer selektiven Aufmerksamkeit zum Opfer. Wir richten unseren Fokus auf bestimmte Dinge und blenden dafür andere Dinge aus. Trotzdem werden einige der ausgeblendeten Informationen unbewusst weiter verarbeitet und beeinflussen letztlich unsere Einstellungen, (Vor-)urteile, Entscheidungen und Handlungen.

Ein gutes Beispiel für unbewusste Beeinflussung bietet ein Bild der AP vom U.S. Präsidenten Obama, das im Moment so oder so ähnlich in einigen aktuellen Presseartikeln erscheint:

Manche Leser sehen den „zufälligen“ Heiligenschein bewusst, aber auf alle Leser wirkt er unbewusst. Mit dieser unbewussten Wahrnehmung ergeben sich auch unbewusste Informationsverarbeitungsschritte, die mächtig genug sind, Einstellungen und Handlungen zu beeinflussen. Vielleicht wirkt Präsident Obama nach der Lektüre dieses Artikels auf manche Leser – unabhängig vom Inhalt (!) des Artikels – ein Stückchen größer, erhabener, charismatischer oder heilsbringender.